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der britischen Marine ist der Angriff. Die Zerstörung der feindlichen
Flotte ist das Ziel des Seekrieges". In 1—2 Monaten habe die eng¬
lische Flotte, so erklärte das britische Flottenamt, jede feindliche Flotte
vernichtet oder in ihre Häfen eingeschlossen. 40 Flottenstützpunkte be¬
herrschen das Weltmeer und alle Meeresstraßen, welche durch das Mittel¬
meer und den Sueskaual oder um Südafrika, Südamerika nach Asien
und Australien führen. Viele sind zu stark befestigten Stationshäfen
(rote Gibraltar, Bombay, Hongkong) ausgebaut, überall aber finden
die britischen Kriegs- und Handelsschiffe große oder kleine Kohlenläger,
Magazine aller Art, Werften mit Trocken- oder Schwimmdocks, Werk¬
stätten für Ausbesserungen usw. Kurz, überall aus dem weiten Ozean
ist der Brite und vor allem das britische Schiff zu Hause und nirgends
findet es verschlossene Türen, nirgends wird es angstvoll abgewiesen,
überall kann es sich versehen mit dem, was ihm not tut. Dies gibt
der britischen Seemacht eine ungeheure, ja erdrückende Überlegenheit.
Dennoch beargwöhnte man in England den fortschreitenden Bau
unserer Flotte, welche selbst nach ihrer Vollendung der britischen nicht
gewachsen ist. Man blickt eben in London stets schon weit voraus in
die Zukunft und fürchtet nicht die gegenwärtige, sondern die zukünftige
deutsche Flotte, nicht das gegenwärtige Deutsche Reich, sondern das
zukünftige „größere" Deutschland. Daher versöhnte es sich mit Frank¬
reich und Rußland und schloß mit Japan ein Bündnis; daher zog es
Italien auf feine Seite, um den Dreibund zu lockern. Daher nahm
cs in der Marokkofrage recht augenfällig Partei für Frankreich und
siegen Deutschland. Dies zeigte sich besonders auf der Konferenz zu
Algesiras (1906), auf der die marokkanische Frage erledigt ward.
Wenn diese Konferenz nicht scheiterte, so dankt man dies der Klugheit
und Mäßigung der deutschen Staatsmänner. Gewiß hat Deutschland
Frankreich viel Rechte in bezug auf Marokko eingeräumt und dies hat
sich beeilt, davon einen recht ausgiebigen Gebrauch zu machen und so¬
fort Udschda besetzt und Kasablanka zusammengeschossen und besetzt, weil
einige Franzosen von der blindwütigen Volksmenge erschlagen worden
waren. Man hat aber in Deutschland auch erwogen, daß unter den
gegenwärtigen Verhältnissen eine kriegerische Auseinandersetzung für uns
nicht günstig ist. In Frankreich rechnete man bestimmt mit der Lan¬
dung britischer Truppen in Schleswig-Holstein.
Dennoch scheint man in London allmählich erkannt zn haben, daß
die deutschfeindliche Politik für England nicht günstig ist. Daher trug
man selbst eifrig dafür Sorge, daß bessere Beziehungen angeknüpft
wurden, und ber deutsche Kaiser ward bei seinem Besuche in London
(1907 im November) ungemein herzlich empfangen. Nichtsdestoweniger
haben wir alle Ursache auf unsrer Hut zu sein und ruhig unsre Flotte
zu vermehren. In England wird es stets Kreise geben, welche sich
von der Vernichtung der deutschen Handels- und Kriegsflotte wie des