Full text: Zeit der alten Deutschen bis zur Reformationszeit (Bd. 1)

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sprach er, „die Lene ist ja schwarz". Aber jetzt gefällt sie ihm wohl, 
und dünkt ihm je länger je mehr, es sei Seuchen. 
d) nach einer schweren Krankheit des Vaters? 
Erwartung: Erst herrscht wohl tiefe Bekümmernis in der Familie, 
die Kleinen weinen, die Mutter bietet die sorgsamste Pflege auf, sie 
sendet heiße Bitten zu Gott empor Dann herrscht große Freude im 
Hause, alle danken Gott von ganzem Herzen. 
Bestätigung: Man veranstaltete ein feierliches Genesungsfest. 
Darüber wird uns mitgeteilt: „Am frühen Morgen wollte man den 
Doktor im Bett überraschen, aber er war schon um 4 Uhr wach ge¬ 
worden und saß im Studierzimmer, die Bibel vor sich aufgeschlagen. 
Da erhob sich aus einmal vor seiner Thüre Gesang. Frau Käthe, die 
Kinder, die Kostgänger und die Freunde stimmten das Lied an: „Ein' 
teste Burg ist unser Gott" —. Der Kapellmeister Wallher leitete den 
Gesang. Kaum war das Lied ausgeklungen, so trat Luther vor die 
Thür und sah die ganze Hausgenossenschaft in Feiertagskleidern ver¬ 
sammelt, die treue Hausfrau Käthe, die Muhme Lene mit der Kinder- 
schar, dem elfjährigen Hänschen, dem achtjährigen Magdalenchen, dem 
sechsjährigen Martin, dem vierjährigen Paul und der dreijährigen 
Margarete, und der alte Diener, alle umgaben ihn glückwünschend. 
Wie freute sich da das Vaterherz Luthers! Er nahm die Kleinen der 
Reihe nach auf den Arm und süßte sie. Die sanfte Magdalene mahnte 
dann, daß der Vater auch heute mit ihnen den Katechismus bete, denn 
das sei das Allerschönste am ganzen Tage, und das wolle sie sich auch 
heute nicht nehmen lassen, zumal heute das ewige Leben an der Reihe 
sei, und von dem wisse der Vater so schön zu erzählen. So geschah 
es denn auch. Darnach forderte die Hausfrau auf, zum Frühstück in 
die Wohnstube hinabzugehen. Nach dem Frühstück ging Luther zur 
Universität, um Vorlesung zu halten. Bei seiner Rückkehr fand er 
mehrere Briefe vor, die er beantwortete. Auch einige Personen waren ge¬ 
kommen, um Rat und Hilfe von ihm zu erbitten. Inzwischen war der 
Mittag herangekommen, und Luther setzte sich mit seinen Gästen zu 
Tische. Nachdem Bugenhagen, Melanchthon und Luther das Tischgebet 
gesprochen und man von den aufgetragenen Speisen gegessen, fing 
Doktor Luther an, von feinem letzten Aufenthalte in Schmalkalden zu 
erzählen. Daselbst fei eine so große und hohe Kirche, daß als er und 
Doktor Pommer (Bugenhagen) gepredigt, da habe es geklungen, als ob 
ein Mänslein zirpe, kaum habe man das Wort verstehen können. 
„Merket wohl, Doktor Pommer mit seiner Bärenstimme. Von mir 
nimmt es mich nicht wunder, da ich nur eine schwache und dunkle 
Stimme habe." Als das Mahl unter mancherlei Gesprächen beendet 
war, forderte Luther die Sänger auf, mit den Tifchgenvffen und den 
Kindern eine Motette zu fingen. Darnach begab man sich in den 
Garten. Nach dem Abendessen erschien ein zahlreicher Zug von 
Studenten mit Fackeln, um ihren geliebten Professor an dem Ehren¬ 
tage nochmals zu begrüßen. Damit hatte die Festfeier ihr Ende er¬ 
reicht."
	        
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