Ebert.
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Bor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
O welch ein Lieben war wie seines heiß?
so Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
Das Menschenblut in seinen Adern stand,
Und stärker quoll der Schweiß.
Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
In ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
35 Ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
Schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
Kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
Ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
Und eine hohle Stimme rief von oben:
M „Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!"
Da faßten den Erlöser Todeswehn,
Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
„Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
An mir vorübergehn!"
46 Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
Das Kreuz, o strahlend mit den Marterzeichen,
Und Millionen Hände sah er reichen,
Sich angstvoll klammernd um den blut'gen Stamm,
O Händ' und Händchen aus den fernsten Zonen!
so Und um die Krone schwebten Millionen
Noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
Ein leiser Nebelrauch, dem Grund entschleichend,
Stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
üö Und: „Vater, Vater," rief er, „nicht mein Wille,
Der deine mag geschehn!"
Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
Stand vor dem Heiland im betauten Grün;
Und aus dem Lilienkelche trat der Engel
«o Und stärkte ihn.
Ges. Schriften, HI, S. 210 ff.
Karl Egon Gbert.
58. Frau Hitt. (Tiroler Volkssage.)
r. Wo schroff die Straße und schwindlig jäh
Herniederleitet zum Inn,
Dort saß auf der mächtigen Bergeshöh'
Am Weg eine Bettlerin.