Full text: Das Altertum (Teil 1)

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II. 
Are Kriechen. 
1. I>ie Götlerkehre (Mythologie). 
In der Art, wie die Griechen ihre Götter auffaßten, lassen sie 
uns ihre Begabung erkennen, und zwar zeigt sich, daß diese eine 
künstlerische und auf die tiefere Erfassung der Natur und des 
Menschenleben gerichtete (philosophische) ist. Ihre Götter sind schöne 
Gestalten, es liegt ihnen eine tiefe Idee zu Grunde. Die Zahl 
ihrer Götter und Göttinnen ist eine sehr große, doch kann man sie 
leicht übersehen, indem man sie in drei Gruppen einteilt: in solche, 
die den lichten Äther bewohnen, in solche, welche die Unterwelt 
beherrschen, und in Meergottheiten. Auch kann man Haupt- und 
Nebengottheiten unterscheiden. Die, welche den lichten Äther be¬ 
wohnen und Himmel und Erde beherrschen, dachte man sich auf 
hohen Bergen thronend oder wandelnd. Der berühmteste Götter- 
berg war der Olymp in Thessalien, ein hoher schneebedeckter Berg, 
dessen zackiger Gipfel meist von Wolken umhüllt und nie von Menschen 
bestiegen worden war. Dort hielten die zwölf Sichtgottheiten (die 
olympischen Götter) ihre Versammlungen ab, dort hatten sie goldene 
Wohnungen, unter denen die Halle des Zeus, des obersten Gottes, 
die stattlichste war, dort labten sie sich an Nektar und Ambrosia, dem 
göttlichen Weine und der göttlichen Speise, dort erfreuten sie sich an 
Saitenspiel und Tanz. Die Griechen dachten sich ihre Götter in 
menschlicher Gestalt, aber größer und schöner als die größten und 
schönsten Menschen, doch legte man ihnen auch die Fähigkeit bei, 
sich beliebig in die Gestalt irgend eines Menschen und sogar eines 
Tieres, z. B. eines Stieres zu verwandeln. Nicht rotes Blut durch¬ 
stießt den göttlichen Leib, sondern ein klarer Saft, und ewige Jugend, 
einige Gesundheit und eine ewig heitere ruhige Stimmung unter¬ 
scheiden sie auch leiblich von den gebrechlichen Menschen. Obgleich die 
Götter nach den Erzählungen der Götterlehre als kleine Kinder geboren 
werden, so entwickeln sie sich doch nur bis zu einer gewissen Lebensstufe 
uud verharren darin, etwa als Jünglinge, Männer oder rüstige Greise 
in unveränderlicher Krast und Schönheit. So werden uns die Götter 
von den griechischen Dichtern, besonders von Homer geschildert, doch 
ist nicht daran zu zweifeln, daß die gebildeten Griechen ihre Götter 
auch als unsichtbare Wesen verehrt haben, die nur, wie sie wollten, 
irgend eine sinnlich wahrnehmbare Gestalt annehmen konnten. Auch
	        
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