7. Und sprichst: Oschau auf mich herab,
der hier an deinem Grabe weint!
Vergieb, daß ich gekränkt dich hab'!
O Gott, es war nicht bös gemeint!
8. Er aber sieht und hört dich nicht,
kommt nicht, daß du ihn froh umfängst,
der Mund, der oft dich küßte, spricht
nie wieder: Ich vergab dir längst!
Ferdinand Freiligrath.
12. Wiege und Sarg.
Ruhestätten giebt es gar viele im Leben, — und wer kennt unter
ihnen nicht die zwei wichtigsien? — Die eine steht an der Eingangsschwelle
des Lebens, die andere an der Ausgangsschwelle desselben. Verschieden, sehr
verschieden, ja völlig entgegengesetzt scheinen sie in ihrem Zwecke zu sein,
und doch sind beide einander nahe verwandt.
Aus Brettern ist die Wiege gezimmert, und so auch der Sarg. Im
Walde stand einst ein Baum, von welchen die Bretter genommen wurden.
Frisch und grün streckte er seine Zweige aus, und schon damals ruhte der
müde Wanderer unter ihm. Endlich wurde der Baum gefällt, sein Stamm
zerschnitten und in friedlicher Werkstätte verarbeitet. Eine Wiege, vielleicht
auch ein Sarg zugleich, entstand aus seinem Holze. Wiege und Sarg —
beide also wuchsen einst kräftig und voll als Waldbaum oder als Obstbaum,
auf deren Zweigen die Vögel sangen.
Beide wurden vom Frühlinge einst belaubt und vom Herbste entblättert.
Beide wurden gefällt durch Art oder Sturm.
Und in beiden schläft der Mensch. In beiden giebt's Ruhe und
Frieden. Wie harmlos liegt der Säugling in der Wiege! Keine Not
ficht ihn an. Rein und ungetrübt ist der Himmel seines Lebens. Ver—
hält sich's anders mit dem Sarge? Auch in ihm schläft der Mensch; und
auch hier trifft den Menschen kein Ungeiach, keine Erdeunnot. Zwar ein
anderer Schlaf ist's, als der Schlaf in der Wiege; denn jetzt ist er eisern,
traumlos und kalt — aber sicher und geborgen doch hält er den Schläfer.
In beide steigen wir nicht selbst. Man legt uns hinein. Denn hilf—
los und schwach noch waren wir, als wir auf dem Schoße der Mutter
saßen. Von ihr erlangten wir, was wir brauchten, auch die Ruhe. Die
Mutter hob uns herab vom Arm und Schoße, sie legte uns liebend und
sanft in die Wiege. — Starr, bleich und gebrochen an Kraft und Bewegung
sind wir im Tode. Man legt uns hinein in den Sarg; denn wir selbst
können uns nicht mehr betten.
Wiege und Sarg — an beiden wird geweint. — Wer kennt nicht
die Thränen der Freude, die im Vater- und Mutterauge glänzen, wenn es
auf die Wiege des Kindes blickt? — Wer kennt nicht die Thränen des
Schmerzes, welche in dem Auge des Kindes glänzen, wenn es am Sarge
der Eltern steht? — Eltern legen ihre Kinder in die Wiege, und in der
Regel legen die Kinder ihre Eltern in den Sarg. Thränen giebt's hier wie da.
Wiege und Sarg — an beiden wird gehofft. — Ja, Hoffnung regt
sich im Herzen, süße Hoffnung leuchtet uns entgegen, wenn wir an der
Wiege unserer Lieblinge stehen. Mit ihnen hoffen wir durchs Leben zu
gehen. Durch sie denken wir ein reines Band zu knüpfen für die Erde