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viele Ehrgeizige Eroberer sein wollten, gegenseitig sich ihrer Güter zu be-
rauben suchten; wenn sie, neidisch aus alles, was sie nicht besitzen, nur
darauf bedacht wären alles an sich zn reißen und jedem das Seine zu
rauben. Man sähe am Ende nur einen Herrn in dieser Welt, welcher
die Erbschaft aller anderen an sich gebracht hätte und sie so lauge behielte,
als die Herrschaft eines neuen Emporkömmlings es ihm gestattet. . .
Aber gesetzt, dieser Eroberer unterwerfe alles seiner Herrschaft, wird
er diese gehörig unterworfene Welt regieren können? Wie groß er anch
sei, so ist er doch nur ein beschränktes Wesen, ein Ständchen, ein nnbe-
deutendes Ding, das man kanm auf dieser Erdkugel kriechen sieht; er
kann kaum die Namen seiner Länder behalten, und seine Größe dient nur
als Beweis feiner wirklichen Geringfügigkeit. Ueberdies ist es nicht die
Größe des regierten Landes, was dem Fürsten seinen Ruhm verschafft,
nicht einige Meilen Landes mehr machen ihn berühmt, sonst müßten immer
diejenigen, welche den größten Acker besitzen, auch die achtuugswertesteu
sein. Die Tapferkeit des Eroberers, seine Fähigkeit, seine Erfahrung und
feine Kunst andere Geister zu lenken sind Eigenschaften, die man an ihm
bewundert; aber er wird immer nur ein herrschsüchtiger, ein böser Mensch
sein, wenn er sich derselben ohne Fug und Recht bedient. Ruhm kann
er nur erwerben, wenn er seine Talente dazu anwendet das Recht zu
unterstützen und wenn er durch den Drang der Umstände, nicht aber aus
Leidenschast zum Eroberer wird. Es geht den Helden wie den Wund-
ärzten, welche man hochschätzt, wenn sie durch ihre barbarischen Operationen
die Menschen aus bevorstehender Gefahr retten, aber die man verabscheut,
wenn sie ihreu Beruf mißbrauchend unnötigerweise und bloß um ihre
Geschicklichkeit zu zeigeu Operationen machen . . .
Es ist nicht wahr, daß ein Fürst das Böse ungestraft thnn könne;
denn wenn auch seine Unterthanen ihn nicht sogleich bestrafen, wenn auch
uicht sogleich des Himmels Blitze ihu niederschmettern, so wäre sein Ruf
in der Welt doch vernichtet, sein Name würde nnter denen genannt, vor
welchen die Menschheit schaudert, uud der Abscheu seiner Unterthanen ist
seine Strafe. Welch' ein Grundsatz der Staatskunst, das Schlimme nie
halb zu thun, sondern ein Volk entweder gänzlich auszurotteu oder es
mindestens nach seiner Mißhandlung bis zur harten Unterweisung noch
so weit zu demütigen, daß es nie wieder furchtbar werden könne, jeden kleinsten
Funken von Freiheit ersticken, den Despotismus sogar über ihr Eigentum,
die Gewaltthat selbst über das Lebeu der Regenten ausdehnen? . . Ich
wiederhole es, was ich im ersten Kapitel gesagt habe, Fürsten sind da als
Richter der Völker; nur der Gerechtigkeit verdanken sie ihre Größe; sie
dürfen also nie die Grundlage ihrer Macht nnd den Ursprung ihrer Ein-
setznng verleugnen. —