Die Inder. 9
der neuen Heimat sowie das Zusammenwohnen mit fremden, unter¬
worfenen Stämmen begannen nun auf sie einzuwirken. Das tropische
Klima und die eigentümliche Pflanzen- und Tierwelt Indiens, die
dem Menschen Erzeugnisse in reichster Fülle (Gold, Diamanten,
Perlen, Reis, Bananen, Feigen, Datteln, Kokos, Baumwolle u. s. w.)
spenden, trugen dazu bei, daß aus einem tatkräftigen Eroberervolk
eine weichliche und träumerische Nation wurde, bei der die Phantasie
ebenso alle übrigen Seelenkräste überwucherte, wie bei den Chinesen
der nüchterne Verstand. Die Ansiedelung unter einer fremden,
dunkleren Rasse, die von den hellen Ariern unterworfen wurde, be¬
wirkte und befestigte eine Einteilung des Volkes in streng geschiedene
Kasten oder Klassen, die auf der Verschiedenheit der Abstammung
wie des Berufes beruht (die Brahmanen ober Priester,1) die Krieger,
die Ackerbauer und die nicht arischen Sudras oder Dienenden). Außer¬
halb der Kasteneinteilung, als unrein gemieden, verachtet und fast
rechtlos sind die Parias. Von ihnen stammen wahrscheinlich die
Zigeuner ab. Diese Kasteneinteilung, die davon abhängigen Lebens¬
gewohnheiten, der Götterglaube und die Verwandtschaft der Sprachen,
die alle aus der gemeinsamen altindischen Ursprache, dem Sanskrit,
sich entwickelten, waren und blieben die gemeinsamen Bande für alle
Hindu oder Inder. Zu einer nationalen Einheit, d. h. zu einem
ganz Vorderindien umspannenden Reiche, brachten sie es dagegen nicht.
Die Religion der Inder war ursprünglich eine Naturreligion,
d. H. sie verehrten die segensreichen und zerstörenden Kräfte und Er¬
scheinungen der Natur, hinter denen sie sich menschenähnliche Götter
dachten. Im Freien, aus Bergeshöhen oder im Hause wurden ihnen
Opfer und Gebete dargebracht, Götterbilder und Tempel waren noch
unbekannt. Tote wurden beerdigt oder verbrannt. Diesem einfachen
Naturdienst, den ursprünglich alle Arier übten, blieben die Inder
auch noch int Pandschab treu. Dort entstanden auch und zwar schon
im 15. Jahrhundert v. Chr. die ältesten ihrer heiligen Bücher, die
Veden (Veda — hl. Wissen), Hymnen, Sprüche, Vorschriften für
Götterverehrung u. dgl. Als die Inder sich aber über die Ganges¬
ebene verbreiteten, wirkten die üppige Natur dieses heißen Landes
und die religiösen Vorstellungen seiner dunkelfarbigen Urbevölkerung
auf die Phantasie der Hindu ein und erzeugten einen neuen phan¬
tastischen Götterglauben, den Brahmaismus.
Der höchste Gott dieses Systems ist Brahma (die schaffende,
alles durchdringende Weltseele), der mit Wischnn (der erhaltenden) und
Siwa (der zerstörenden Kraft der Natur) zusammen als „Trimurti"
(Dreigestalt) verehrt wurde. Das höchste und letzte Ziel jedes Menschen
sollte darin bestehen, nach dem Tode zur Vereinigung mit Brahma zu
gelangen. Dies war jedoch nur demjenigen erreichbar, der sich den
0 Lies Friedr. Hebbel: „Der Brahmine".
Volk.
Kastenwesen.
Religion.
Brahmais¬
mus.