Full text: Neuere Geschichte von 1648 - 1888 (Teil 3)

§ 6. Die inneren Zustände in dem Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden. 43 
sich bei den Großen so unentbehrlich zu machen, daß sie Vertrauens¬ 
stellungen und hohe Ämter erlangten. Schon fing man an, Bonnen von 
jenseits des Rheines her zu beziehen, welche die jungen Barone und 
Baronessen sranzösisch parlieren lehren sollten und es dann für ihr Recht 
hielten, sie vor dem Gebrauch der ,,garstigen barbarischen Banernsprak 
der Deutschen zu warnen. Die zahlreichen Sprachgesellschaften, die sich 
gegen die Verderbnis der deutschen Sprache wandten, richteten wenig aus, 
doch zeugten sie von der Sehnsucht der deutschen Volksseele. Das deutsche 
Gemüt und bessere deutsche Sitte behauptete sich beim Landadel und 
Bürgertum. Die Nachäffung welscher Art beschränkte sich aber nicht nur 
auf die Annahme der fremden Sprache und Umgangssitte, die immerhin 
das Gute hatte, daß sie das oft derbe oder geradezu rohe Wesen aus der 
Zeit des Dreißigjährigen Krieges, wie es sich z. B. auf den Universitäten 
zeigte, zurückdrängte, sondern man nahm auch die Liederlichkeit, Prunksucht 
und Verschwendung von Versailles herüber und vergaß hierbei völlig, daß 
die Mittel eines kleinen deutschen Fürsten es wahrlich nicht gestatteten, dem 
mächtigen Herrn des reichen Frankreich nachzuahmen. So stürzten sich viele 
deutsche Landesherren samt ihrem Hofadel in Schulden, aus denen sie sich 
dann durch maßlose Erhöhung der Steuerlast, Ämterverkauf und die Künste 
der Alchimisten und Hofjuden vergeblich zu retten suchten. Die Kluft 
zwischen dem Fürstenhof, der praßte und verschwendete, und dem Volk, das 
darbte und hohe Steuern zahlte, ward dadurch sehr vergrößert. Am 
schlimmsten sah es in Baden, Bayern, Württemberg und Sachsen aus; auch 
verschiedene geistliche Fürsten gaben sich dem äußerlich vornehmen, in Wirk¬ 
lichkeit leichtfertigen und hohlen Ausländertum hin. August der Starke von 
Sachsen vergeudete das Geld in dem Maße, daß er z. B. für die Festlich¬ 
keiten im Lustlager zu Mühlberg an der Elbe 15 Millionen Mark 
ausgab; zu einem einzigen Feuerwerke, das er abbrennen ließ, wurden 
18000 Stämme Bauholz verbraucht, 6000 Ellen Leinwand umfaßte ein 
dabei aufgestelltes, großes allegorisches Bild. Sein Minister Flemming 
bereicherte sich um 48 Millionen Mark, von denen dann der Witwe die 
Hälfte wieder abgenommen wurde; die Gräfin Kosel lockte dem Kurfürsten 
60 Millionen Mark ab. Mythologische Feste, Turniere, Türken- und 
Bauernseste sowie Maskeraden, bei denen oft das halbe Heer mit tätig war, 
lösten einander unaufhörlich ab. Außer einer prächtigen Bildergalerie 
erbaute er zu Dresden das- Japanische Palais, in dem für 3 Millionen 
Mark echtes chinesisches Porzellan ausgestellt war. Das Grüne Gewölbe, 
Augusts des Starken Schatzkammer, enthielt ein ganzes Zimmer voll Perlen, 
Drechslerarbeiten, Spieluhren und. Pfeilern von Straußeneiern. 
Der Geschmack verseinerte sich durch die französische Bildung nur 
äußerlich; er hastete an prunkvollen Schaustellungen, und sinnlicher Genuß 
überwog. Auf der Bühne herrschte die italienische Oper, der auch in 
Hamburg der kräftige Anfang einer deutschen unterlag. Zwar befreite die 
,,Neuberin" (Friederike Neuber) im Bunde mit Gottsched die deutsche 
Bühne von ihrer Roheit, auch führte Gottsched die historische Tracht ein; 
aber wirklich veredelt wurde das Schauspiel erst im folgenden Zeitalter. 
— Die bisherige Tracht wurde abgelegt; die Männer kleideten sich in
	        
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