Full text: Neuere Geschichte von 1648 - 1888 (Teil 3)

46 Die Neuzeit. 
Auch in Schlesien raffte sich das Gewerbe wieder auf, hatte aber einen 
schweren Stand, weil durch Peters des Großen Bemühungen, den Verkehr 
Rußlands nach den von ihm eroberten Ostseehäfen zu leiten, die Kundschaft 
dieses Landes an den französischen Wettbewerb verloren ging. In Branden¬ 
burg nahm die Tuchmacherei einen solchen Aufschwung, daß sie in der 
Lage war, den gesamten Bedarf für das Heer des Zaren zu decken. 
Besonders betriebsam waren die Rsfugws. Aber Engländer und Franzosen 
hatten in der Technik einen großen Vorsprung gewonnen. Die feinen 
Waren und die Modeartikel kamen aus Frankreich, die einfachen ans Eng¬ 
land. Der deutsche Handel war durch die zahllosen Fluß- und Wege¬ 
zölle gehemmt; Flüsse und Landstraßen befanden sich in verwahrlostem Zu¬ 
stande. In den Städten hemmte das Zunft- und Gildewesen, in seinen 
Formen verknöchert oder verroht, sowie das Stapelrecht der Städte die 
Entwicklung des Verkehrs ungemein. Auch die Kleinheit einzelner landes¬ 
herrlicher Gebiete, besonders in Mittel- und Süddeutschland, war dem 
Handel hinderlich. Im Norden sorgten die klugen Hanseaten durch vorteil¬ 
hafte Handelsverträge mit Frankreich und England ausschließlich für sich, 
da das Reich sie nicht schützte. 
6. Die Kunst in den deutschen Landen war um ihre selbstschöpferische 
Kraft gekommen; nur von den Fürsten, dem Adel und der katholischen 
Kirche mit Bestellungen bedacht, verhielt sie sich wesentlich nachahmend. 
Wollte man hohe, weite, prachtvoll geschmückte Räume, so bediente man sich 
der italienisch-französischen Bauweise des Barock. Galt es kleinere Zimmer 
oder Gebäude, die Eleganz mit Behaglichkeit verbinden sollten, dann wurde 
das ebenfalls welsche Rokoko gewählt. Seine Eigentümlichkeit bestand 
darin, daß es, die gerade Linie vermeidend, die gebrochene und gewundene 
zum Hilfsmittel künstlerischer Darstellung nahm, alles, leere Flächen an 
den Wänden, Büchereinbände, Tapeten und Vasen, mit zierlichem Bildwerk 
bedeckte und sich im Schaffen oft der abgeschmacktesten und gekünsteltsten 
Allegorien gefiel. Es paßte zu der formvollen Unwahrheit in Sprache, 
Tracht und Sitte. Die Säulen wurden gewunden, als ob der Stein weich 
wäre, und der Rundbogen in feiner Spannung durchschnitten. In Süd¬ 
deutschland erstanden der Passauer Dom, ein mächtiger Kuppelbau, die 
Theatinerkirche in München, das Nymphenburger Schloß (w. von München), 
die Karlskirche, Prinz Eugens Gartenschloß Belvedere zu Wien und das Schloß 
zu Schönbrunn. Nur der geniale Andreas Schlüter (1664—1714) 
erhob sich zu einem wahrhaft monumentalen Stil (Berliner Schloß). Er 
war auch der einzige große Bildhauer seiner Zeit (Denkmal des Großen 
Kurfürsten, Masken der sterbenden Krieger im Hose der Ruhmeshalle). 
Auch in der Malerei fehlte es in Deutschland durchaus an selbständigen 
Künstlern. Die Gartenkunst ahmte überall das steife Vorbild von Ver¬ 
sailles nach und zwang die Natur in das Joch selbstherrlicher Launen. Wie 
Andreas Schlüter Berlin, so half fein Kunstgenosse Pöppelmann Dresden 
in eine prunkende Hauptstadt verwandeln. Auf Augusts des Starken Geheiß 
baute er die Elbbrücke um, bildete aus einem Gar teuf chloß des Ministers 
Flemming das Japanische Palais und begann 1711 den „Zwinger".
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.