46 Die Neuzeit.
Auch in Schlesien raffte sich das Gewerbe wieder auf, hatte aber einen
schweren Stand, weil durch Peters des Großen Bemühungen, den Verkehr
Rußlands nach den von ihm eroberten Ostseehäfen zu leiten, die Kundschaft
dieses Landes an den französischen Wettbewerb verloren ging. In Branden¬
burg nahm die Tuchmacherei einen solchen Aufschwung, daß sie in der
Lage war, den gesamten Bedarf für das Heer des Zaren zu decken.
Besonders betriebsam waren die Rsfugws. Aber Engländer und Franzosen
hatten in der Technik einen großen Vorsprung gewonnen. Die feinen
Waren und die Modeartikel kamen aus Frankreich, die einfachen ans Eng¬
land. Der deutsche Handel war durch die zahllosen Fluß- und Wege¬
zölle gehemmt; Flüsse und Landstraßen befanden sich in verwahrlostem Zu¬
stande. In den Städten hemmte das Zunft- und Gildewesen, in seinen
Formen verknöchert oder verroht, sowie das Stapelrecht der Städte die
Entwicklung des Verkehrs ungemein. Auch die Kleinheit einzelner landes¬
herrlicher Gebiete, besonders in Mittel- und Süddeutschland, war dem
Handel hinderlich. Im Norden sorgten die klugen Hanseaten durch vorteil¬
hafte Handelsverträge mit Frankreich und England ausschließlich für sich,
da das Reich sie nicht schützte.
6. Die Kunst in den deutschen Landen war um ihre selbstschöpferische
Kraft gekommen; nur von den Fürsten, dem Adel und der katholischen
Kirche mit Bestellungen bedacht, verhielt sie sich wesentlich nachahmend.
Wollte man hohe, weite, prachtvoll geschmückte Räume, so bediente man sich
der italienisch-französischen Bauweise des Barock. Galt es kleinere Zimmer
oder Gebäude, die Eleganz mit Behaglichkeit verbinden sollten, dann wurde
das ebenfalls welsche Rokoko gewählt. Seine Eigentümlichkeit bestand
darin, daß es, die gerade Linie vermeidend, die gebrochene und gewundene
zum Hilfsmittel künstlerischer Darstellung nahm, alles, leere Flächen an
den Wänden, Büchereinbände, Tapeten und Vasen, mit zierlichem Bildwerk
bedeckte und sich im Schaffen oft der abgeschmacktesten und gekünsteltsten
Allegorien gefiel. Es paßte zu der formvollen Unwahrheit in Sprache,
Tracht und Sitte. Die Säulen wurden gewunden, als ob der Stein weich
wäre, und der Rundbogen in feiner Spannung durchschnitten. In Süd¬
deutschland erstanden der Passauer Dom, ein mächtiger Kuppelbau, die
Theatinerkirche in München, das Nymphenburger Schloß (w. von München),
die Karlskirche, Prinz Eugens Gartenschloß Belvedere zu Wien und das Schloß
zu Schönbrunn. Nur der geniale Andreas Schlüter (1664—1714)
erhob sich zu einem wahrhaft monumentalen Stil (Berliner Schloß). Er
war auch der einzige große Bildhauer seiner Zeit (Denkmal des Großen
Kurfürsten, Masken der sterbenden Krieger im Hose der Ruhmeshalle).
Auch in der Malerei fehlte es in Deutschland durchaus an selbständigen
Künstlern. Die Gartenkunst ahmte überall das steife Vorbild von Ver¬
sailles nach und zwang die Natur in das Joch selbstherrlicher Launen. Wie
Andreas Schlüter Berlin, so half fein Kunstgenosse Pöppelmann Dresden
in eine prunkende Hauptstadt verwandeln. Auf Augusts des Starken Geheiß
baute er die Elbbrücke um, bildete aus einem Gar teuf chloß des Ministers
Flemming das Japanische Palais und begann 1711 den „Zwinger".