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ganz hingekommen, sondern unterwegs in einem Flusse ertrunken.
Die Leute wollten nicht glauben, daß er gestorben sei, sondern
erzählten sich, Kaiser Rotbart sitze im Kysfhänser (einem Berge
in Thüringen) in einem unterirdischen Schlosse und schlafe. Sein
roter Bart fei durch den Tisch gewachsen. Seine Tochter und
einige Zwerge bedienten ihn. Einmal würde er aber wieder
kommen und alle Feinde aus Deutschland vertreiben. Manche
Leute erzählten auch, sie wären im Kyffhänfer gewesen und hätten
ihn gesehen.
Einmal faß ein Schäfer auf dem Berge und blies auf seiner
Schalmei so anmutig, daß der Kaiser im Inneren des Berges
es mit Wohlgefallen hörte und dann durch einen Zwerg den
Schäfer hereinführen ließ. Nachdem er vor dem Kaiser recht
schön gespielt hatte, erhielt er zum Geschenk eine Menge Gold.
Bon einem Zwerge wurde er wieder glücklich hinausgeführt.
Daß der schlummernde Kaiser die Musik liebte, war in der
ganzen Gegend bekannt. Eine Gesellschaft Musikanten von Kelbra
beschloß daher, ihm eine vollständige Nachtmusik zu bringen. Als
die Glocke die Mitternachtsstunde verkündete, begannen sie ihre
Musik. Bald darauf kam die schone Prinzessin auf sie zugetanzt
mit Lichtern in der Hand und gab ihnen zu verstehen, ihr zu
folgen. Der Berg öffnete sich, und unter Musik zogen sie ein.
Es wurde nun das Beste und Wohlschmeckendste anfgetifcht, und
die Musikanten ließen es sich schmecken. Als der Morgen dämmerte,
brachen sie auf und meinten, etwas von dem herumliegenden Golde
und von den Edelsteinen zu bekommen. Sie irrten sich. Der
Kaiser dankte nur mit einem Kopsnicken, und die Prinzessin gab
jedem der Spielleute zum Andenken einen grünen Zweig. Als
sie wieder im Freien waren, verwünschten sie den Kaiser und
seine Tochter ihres Geizes wegen und warfen die Busche weg.
Einer derselben behielt aber seinen Zweig und überreichte ihn zu
Hause scherzend seiner Frau. In dem Augenblicke verwandelten
sich alle Blätter in goldene Zehnthalerstücke. Die übrigen, als
sie das hörten, waren neidisch. Sie gingen wieder zum Berge,
um ihre Zweige zu suchen; sie fanden aber keine wieder.