Full text: Charakterbilder für den biblischen Geschichtsunterricht

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sogt damit, daß er die Königswürde Christi so auffasse, wie sein 
Bolk, untrennbar von dem: Gottes Sohn. Die Messiashoffnungen des 
jüdischen Volkes waren ja keine geheimen, sie waren selbst den Heiden 
bekannt. Dem Pilatus, auch seinem Bewußtsein, steht Jesus als Christus, 
als Messias, als Heiland der Welt, als auch sein eigner Heiland ge¬ 
genüber. Die Frage des Pilatus war auch nicht eine Frage der bloßen 
Neugier, sondern eines tiefern Interesses, das aber bei dem Cha¬ 
rakter des Pilatus, der uns sogleich in einem einzigen Worte klar ge¬ 
zeichnet wird, doch nicht tief genug gehen konnte. Hätte auch 
Pilatus nicht das ganze klare Bewußtsein der Bedeutung der 
königlichen Würde Jesu gehabt, so mußte es ihm kommen durch Jesu 
Antwort: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich 
von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, daß ich den 
Juden nicht überantwortet würde, aber nun ist mein Reich nicht von 
dannen.« Welche unendliche Mahnung für das Herz des Pilatus! 
Jesu Antwort ist auch nicht ohne Eindruck auf ihn geblieben. Er 
frägt: »So bist du dennoch ein König?« Die Frage ist durchaus nicht 
spottend, höhnend von Pilatus gemeint, sondern ganz ernsthaft. Er 
hat durch Jesu Worte die Überzeugung gewonnen, daß Jesus der von 
den Juden erwartete Messiaskönig, der Christuskönig wirklich sei, 
woran er vorher wohl noch gezweifelt hatte. Hätte Pilatus das 
»König« als äußerer, politischer König verstanden, so hätte er un¬ 
möglich nachher zum öfteren Jesu Unschuld hervorheben können, er 
hätte gar nicht danach streben dürfen, Jesum zu erretten und los¬ 
zugeben, er hätte Jesum als einen, der nach der Herrschaft strebe und 
die Herrschaft der Römer in Judäa umstürzen wolle, verurteilen 
müssen. 
Jesus, der seinen verstockten Anklägern nicht ein Wort der Wieder¬ 
legung gönnt, der aber jedem verlorenen Schafe nachgeht, sucht noch 
weiter auf das Herz des Pilatus zu wirken. Er spricht: »Du sagst 
es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt ge¬ 
kommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit 
ist, der höret meine Stimme.« Welch unendlich große Mahnung für 
das Herz des Pilatus! Fast nie hat der Herr so klar über sich selbst, 
über den Zweck seiner Sendung sich ausgesprochen, als zu Pilato. 
Warum hört er nicht der Stimme auch seines Königs? Er sagt es 
selbst mit den drei Worten: »Was ist Wahrheit?« Diese eignen Worte 
bezeichnen aufs treffendste feinen Charakter und geben den Schlüssel
	        
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