Full text: Die mittlere Zeit (2)

— 10 — 
Götter gingen darauf ein; aber als der Bau beinahe vollendet war, 
tötete Thor den Riesen mit seinem Hammer. Das war eine neue Schuld, 
welche die Äsen auf sich luden. 
§. 24. Thor selbst wurde von Fialar und Giallar seines Mjölnir 
im Schlafe beraubt, und diese schenkten ihn dem Sturmriesen Thrym. Der¬ 
selbe trachtete auch nach dem Besitz Freyas und verlangte für die Rück¬ 
gabe des Kleinods die Göttin. Da wurde im Rate der Äsen eine List 
beschlossen. Thor sollte als Freya verkleidet zu dem Jötunen geführt 
werden. Also geschah es. Der vermeintlichen Braut legte Thrym den 
Hammer als Hochzeitsgeschenk in den Schoß. Kaum sah sich jedoch der 
Gott wieder im Besitz der kostbaren Waffe, so zerschmetterte er dem Riesen 
das Haupt.*) 
§. 25. Noch war Odin schuldlos; so lange vermochte Lokis Tücke 
nichts auszurichten. Es gelang ihm, durch erheuchelte Reue wieder Auf¬ 
nahme in Asgard zu finden, und bald spann er neue Ränke. Noch 
immer trauerte Freya thatenlos um Ddhr; auf Erden ruhten die Kriege; 
keine Einherier zogen in Walhall ein. Sorgend bemerkte es der Götter¬ 
vater. Da verriet ihm Loki, daß an Brisingamen die Erinnerung an 
Ddhr hafte, und er empfing den Auftrag, das Halsband der Göttin ohne 
Gewalt zu rauben. Es gelang, und so hatte Odin selbst in Asgard ein 
Verbrechen befohlen. Da kam den Göttern das Verderben immer näher. 
Zuerst versank Iduna aus Asgard in das Reich der Hel. Jugend und 
Leben der Götter war damit gefährdet. Dann verkündeten die Nomen, 
der reine Gott Baldur müsse sterben. Er war in tiefe Traurigkeit darüber 
versunken, daß sich auch Odin mit Schuld befleckt habe. Um ihn zu 
erheitern und um seine düsteren Todesahnungen zu zerstreuen, stellten 
sie sich, nachdem sie von allen lebenden und leblosen Dingen einen 
Schwur genommen hatten, Baldur nicht zu schaden, um ihn und warfen 
Geschosse nach ihm. Nur ein Mistelzweig hatte nicht geschworen. Diesen 
verschaffte sich Loki und überredete den blinden Hödur, damit auf Baldur 
zu zielen. Mit Lvkis Bogen schoß der Unglückliche den Reinen tot. 
Baldur mußte den Helweg antreten, und seine treue Gemahlin Nanna 
folgte ihm dahin. Hödur wünschte zur Sühne für feine That auch zu 
sterben. Aber kein Gott konnte sich entschließen, ihm den %ob zu geben; 
erst ein Sohn Odins von einer sterblichen Wali endete die Gewissens¬ 
qualen des leidenden Gottes. 
§. 26. Als Lokis Frevelthaten nicht aufhörten, und er selbst die 
Götter beschimpfte und höhnte, wurde er mit vieler Mühe — denn er 
vermochte sich in die verschiedensten Gestalten zu verwandeln — ein¬ 
gefangen und in einer Höhle mit Eisenbändern gefesselt. Ein Giftwurm 
wurde über ihm befestigt, damit das Gift in sein Antlitz träufele. Aber 
seine treue Gattin Sigyn hielt ein Becken unter die Gifttropfen und fing 
sie auf. Nur wenn die Schale voll war und ausgegossen werden 
mußte, berührte das Gift feine Züge. Dagegen sträubte er sich so, 
daß er die Erde in ihren Grundfesten erschütterte. 
*) Chamifso: das Lied von Thrym oder die Wiedereroberung Miöllners rc.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.