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Götter gingen darauf ein; aber als der Bau beinahe vollendet war,
tötete Thor den Riesen mit seinem Hammer. Das war eine neue Schuld,
welche die Äsen auf sich luden.
§. 24. Thor selbst wurde von Fialar und Giallar seines Mjölnir
im Schlafe beraubt, und diese schenkten ihn dem Sturmriesen Thrym. Der¬
selbe trachtete auch nach dem Besitz Freyas und verlangte für die Rück¬
gabe des Kleinods die Göttin. Da wurde im Rate der Äsen eine List
beschlossen. Thor sollte als Freya verkleidet zu dem Jötunen geführt
werden. Also geschah es. Der vermeintlichen Braut legte Thrym den
Hammer als Hochzeitsgeschenk in den Schoß. Kaum sah sich jedoch der
Gott wieder im Besitz der kostbaren Waffe, so zerschmetterte er dem Riesen
das Haupt.*)
§. 25. Noch war Odin schuldlos; so lange vermochte Lokis Tücke
nichts auszurichten. Es gelang ihm, durch erheuchelte Reue wieder Auf¬
nahme in Asgard zu finden, und bald spann er neue Ränke. Noch
immer trauerte Freya thatenlos um Ddhr; auf Erden ruhten die Kriege;
keine Einherier zogen in Walhall ein. Sorgend bemerkte es der Götter¬
vater. Da verriet ihm Loki, daß an Brisingamen die Erinnerung an
Ddhr hafte, und er empfing den Auftrag, das Halsband der Göttin ohne
Gewalt zu rauben. Es gelang, und so hatte Odin selbst in Asgard ein
Verbrechen befohlen. Da kam den Göttern das Verderben immer näher.
Zuerst versank Iduna aus Asgard in das Reich der Hel. Jugend und
Leben der Götter war damit gefährdet. Dann verkündeten die Nomen,
der reine Gott Baldur müsse sterben. Er war in tiefe Traurigkeit darüber
versunken, daß sich auch Odin mit Schuld befleckt habe. Um ihn zu
erheitern und um seine düsteren Todesahnungen zu zerstreuen, stellten
sie sich, nachdem sie von allen lebenden und leblosen Dingen einen
Schwur genommen hatten, Baldur nicht zu schaden, um ihn und warfen
Geschosse nach ihm. Nur ein Mistelzweig hatte nicht geschworen. Diesen
verschaffte sich Loki und überredete den blinden Hödur, damit auf Baldur
zu zielen. Mit Lvkis Bogen schoß der Unglückliche den Reinen tot.
Baldur mußte den Helweg antreten, und seine treue Gemahlin Nanna
folgte ihm dahin. Hödur wünschte zur Sühne für feine That auch zu
sterben. Aber kein Gott konnte sich entschließen, ihm den %ob zu geben;
erst ein Sohn Odins von einer sterblichen Wali endete die Gewissens¬
qualen des leidenden Gottes.
§. 26. Als Lokis Frevelthaten nicht aufhörten, und er selbst die
Götter beschimpfte und höhnte, wurde er mit vieler Mühe — denn er
vermochte sich in die verschiedensten Gestalten zu verwandeln — ein¬
gefangen und in einer Höhle mit Eisenbändern gefesselt. Ein Giftwurm
wurde über ihm befestigt, damit das Gift in sein Antlitz träufele. Aber
seine treue Gattin Sigyn hielt ein Becken unter die Gifttropfen und fing
sie auf. Nur wenn die Schale voll war und ausgegossen werden
mußte, berührte das Gift feine Züge. Dagegen sträubte er sich so,
daß er die Erde in ihren Grundfesten erschütterte.
*) Chamifso: das Lied von Thrym oder die Wiedereroberung Miöllners rc.