6. Cyrus (Schluß). 13
tragen. Als Astyages vernahm, daß die Perser sich empörten, sandte er
ein Heer gegen sie und machte in unbegreiflicher Verblendung den Har-
pagus zum Feldherrn. Dieser zog Cyrus entgegen und ging sofort zu
ihm über. Viele Meder folgten feinem Beispiele, die übrigen flohen. Da
ergrimmte Astyages dermaßen, daß er alle Traumdeuter, welche ihm
geraten hatten, den Cyrus am Leben zu lassen, auf Pfähle spießen ließ.
Dann stellte er sich selbst au die Spitze eines neuen Heeres, wurde aber
bei Pasargadä in Persien von Cyrus geschlagen (558 v. Chr.). Er
selber wurde gefangen genommen. Cyrus that seinem Großvater kein
Leid; die Herrschaft aber ging von den Medern auf die Perser über.
6. Lyrus (Schluß).
1. Krösus. Kaum hatte Cyrus seinen Sieg über die Meder voll¬
endet, so erstand ihm ein neuer Feind in Krösus, dem Könige von
Lydien. Das lydische Reich nahm den größten Teil von Kleinasien ein
und wurde im Osten von dem Flnsse Halys begrenzt. Krösus besaß
nicht bloß ein mächtiges Reich, sondern auch so unermeßliche Schätze, daß
er für den reichsten König der Welt galt, und daß mau noch heute sprich¬
wörtlich sagt: reich wie Krösus.
2. Krösus und Solon. Krösus hatte einst eine merkwürdige Unter¬
redung mit dem weisen Solon ans Athen. Als derselbe ihn in seiner
Hauptstadt Sardes besuchte, zeigte Krösus ihm alle seine Schätze. Darauf
sprach er zu seinem Gaste: „O Solon, du bist weit in der Welt herum¬
gekommen; sage mir, welchen von allen Menschen, die du kennen gelernt
hast, hältst du für den glücklichsten?" Er dachte aber, Solon werde ihn
selber nennen. Doch der weise Grieche sprach: „Tellus von Athen!"
— „Warum denn den?" — „Tellus war ein geachteter Bürger; er lebte
int Wohlstände, hatte vortreffliche Söhne und Enkel und sah seine Vater¬
stadt blühend. Endlich starb er in einer siegreichen Schlacht den schönen
Tod fürs Vaterland." — „Weit würdest du denn nach diesem für den
glücklichsten erklären?" — Kleobis und Biton, zwei wackere Jünglinge
aus Argos. Sie siegten beide in den olympischen Spielen; sodann wird
von ihnen folgendes erzählt: Ihre Mutter, eine Priesterin der Juno,
mußte einst zum Tempel fahren; es waren aber die Rinder nicht vom
Felde heimgekehrt. Da spannten sich die Jünglinge vor den Wagen und
zogen die Mutter eine Meile Weges bis zum Tempel. Alles Volk pries
die Mutter glücklich wegen solcher Söhne. Voll überströmender Freude
flehte die Mutter die Göttin an, ihren Söhnen zum Lohn die beste aller
Gaben zu gewähren. Das Gebet wurde sogleich erhört; denn Juno nahm
die Jünglinge, welche ermüdet im Tempel eingeschlummert waren, durch
einen sanften Tod hinweg, so daß sie nicht wieder erwachten." — „Aber",
sagte Krösus unwillig, „hältst du mein Glück für nichts, daß du bürgerliche
Männer mir vorziehst?" „O Krösus", erwiderte Solon ernst, „ich weiß ja
Zar nicht, was für ein Ende du nehmen wirst. Niemand ist vor feinem
Tode glücklich zu preisen." Hierauf entließ der verletzte König den Weifen
unfreundlich und ohne Gastgeschenk.