147. Preußens Fall. 325
zugleich seines Landes verlustig erklärte. Der blinde, kranke Greis floh
nach dem Dorfe Ottensen bei Altona und fand hier auf demselben Kirch¬
hofe, auf welchem der Dichter Klopstock ruht, sein Grab.
3. Preußens Schmach. Schmachvoller als die Niederlagen bei
Jena und Anerstädt war das, was folgte. Nach der früheren Sicherheit
bemächtigte sich jetzt eine unbeschreibliche Verwirrung und Verzagtheit
des preußischen Militärs; ganze Haufen des zersprengten Heeres ließen
sich von den Franzosen gefangennehmen oder lösten sich auf und gingen
nach Hanse, als gäbe es kein Vaterland mehr zu verteidigen. Ohne einen
Schuß zu thun, überlieferte sich eine Festung nach der andern dem
ob solcher Feigheit erstaunten Sieger; so Erfurt, Spandau, Stettin
Küstrin, Magdeburg und andere. Das fast uubezwiugliche Magdeburq
ergab sich mit 24 000 Mann Besatzung an 10 000 Franzosen! Schon
vierzehn Tage nach der Schlacht bei Jena hielt Napoleon seinen Einzug
in Berlin, bei welcher Gelegenheit die feigen Bürger voll Angst „Vive
Vempereur!“ schrieen. Napoleon sog Berlin tüchtig aus und nahm nicht
bloß Geld, sondern alles, was ihm gefiel, z. B. auch die Viktoria vom
Brandenburger Thore und den Degen vom Grabe Friedrichs des Großen
in Potsdam. Die versteckten öffentlichen Kassen und Vorräte wurden
ihm von den Bürgern selbst bereitwillig ausgeliefert. Einem Schurken,
der einem Franzosen noch einen großen Vorrat Holz entdecken wollte, ant¬
wortete dieser: „Laß nur liegen, euer König braucht später Holz, um
die Verräter zu hängen!" In dieser Zeit der Schande wurde offenbar,
wie sehr das Volk von seinem Gott gewichen war; denn wo Glaube und
Gottesfurcht, da ist auch treue Vaterlandsliebe und Todesmut. Gottlob
ist das Volk durch die Trübsal geläutert worden.
4. Rühmliche Ausnahmen. Schon jetzt gab es rühmliche Aus¬
nahmen bei der allgemeinen Schande. Eine solche war Blücher, der sich
mit fernem kleinen Corps (Kohr) bis Lübeck durchschlug und sich hier so
lange wacker verteidigte, bis ihm die Munition ausging. Von den
Festungen zeigten sich besonders Kolb erg und Grand enz des preußischen
Namens würdig. In Kolberg zwang ein einfacher Handwerker, der
70jährige Nettelbeck, mit dem Degen in der Faust den Kommandanten,
die Feste zu halten, bis der Oberst Gneifenau kam. In Grandenz kom¬
mandierte der alte Courb isre (fpr. Kurbiähr). Als die Franzosen diesen
zur Übergabe aufforderten und höhnend hinzufügten, es gebe keinen König
von Preußen mehr, antwortete er: „Nun gut, so bin ich König von
Graudenz!" Weder Kolberg noch Graudenz wurden genommen.
5. Flucht nach Memel. Eylau und Friedland (1807). Dem
Könige und der Königin wollte das Herz schier brechen vor Gram. als
sie alles um sich her so schmählich zusammenstürzen sahen. Sie hatten
nach Königsberg flüchten müssen; aber auch .hier war Luise vor den
nahenden Feinden bald nicht mehr sicher. Obgleich schwer krank am
Nervenfieber, floh sie mit ihren beiden Söhnen mitten im kalten Winter
durch Sturm und Schneegestöber nach Memel, der äußersten Stadt des
Reichs. Die erste Nacht unterwegs verbrachte sie in einer elenden Hütte,
wo ihr der Schnee durch die zerbrochenen Scheiben auss Bett wehte. —-