I. Zeitalter der Reformation.
1. Deformation.
Stimmungen. Zu Ende des 15. Jahrhunderts befanden sich die
Völker Europas in einer nicht geringen Erregung. Im Verlaufe der Zeit
hatten ihre Anschauungen sich umgestaltet, ihr Wissen sich erweitert, ihre
Ansprüche an das Leben waren gestiegen. Die Kugelgestalt der Erde
war längst festgestellt; die Erde selbst stand nicht mehr im Mittelpunkte
unseres Planetensystems, sondern bewegte sich mit den anderen Wandel-
sternen um die Sonne, so sehr auch der Papst wie Luther an der Wahr¬
heit dieser Lehre des Kopernikus zweifelten. Der Blick der Menschen wurde
in die weite Ferne gelenkt; Afrika war umsegelt und damit der Seeweg
nach Indien eröffnet, ein neuer Erdteil entdeckt und hinter ihm ein ge¬
waltiger Ocean aufgefunden. Die Kunst des Buchdrucks verbreitete schnell
den Gedanken in weite Kreise; durch die Kunst des Lesens drang Bildung
auch in breitere Schichten des Volkes ein, besonders in den volkreichen
und wohlhabenden Städten. Seit der Eroberung Konstantinopels durch
die Türken (1453) hatte durch flüchtige griechische Gelehrte sich die Kennt¬
nis der Schriften des Altertums in Westeuropa verbreitet und einen
lebhaften Eifer für das Studium derselben erzeugt. Durch Italien, Frank¬
reich, die Niederlande, Deutschland und England ging ein frischer Zug geistiger
Arbeit. Die gelehrte Forschung ließ falsche Voraussetzungen des Mittel¬
alters fallen; Dichtkunst, Malerei, Bildhauerei, Baukunst verjüngten sich
durch die Muster der Antike (Humanismus und Renaissance; Petrarfa,
Dante, Reuchliu, Erasmus, Hutten). Die Forschung erstreckte sich auch
auf die Heilige Schrift und hielt sich nicht mehr in den Schranken der
von der Kirche aufgestellten Glaubenssätze (Dogmen).
Heimische Zustände. Eine allgemeine Unzufriedenheit mit den
bestehenden Verhältnissen ergriff auch in Deutschland fast alle Schichten
des Volkes. Der gepanzerte Ritter war für den Kriegsdienst überflüssig
geworden, seit nach Erfindung des Schießpulvers die Landesherren Fuß-
Schillmann, Schule der Geschichte. III. \