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nicht mehr Ring und Stab, die Zeichen des Amtes, sondern nur
das Zepter, das Sinnbild des weltlichen Besitzes. Die Gewählten
empfingen also ihr Amt aus der Hand der Kirche, die weltlichen
Hoheitsrechte aber vom Kaiser. Die Belehnung durch diesen hatte
in Deutschland vor der kirchlichen Weihe, in Italien 6 Wochen
nach derselben zu erfolgen. Es konnte also in Deutschland kein
Bischof oder Abt gewählt uud in sein Amt eingeführt werden,
wenn die kaiserliche Investitur verweigert wurde. Auch in Italien
wurde die Weihe nicht vollzogen, bevor man nicht von der kaiser¬
lichen Bestätigung Gewißheit hatte. So war der wesentliche Teil
des Jnvestitnrrechts dem Kaiser verblieben, mir eine andere Form
gewählt. Damit behauptete sich der Staat neben der Kirche, und
die Weltherrschaftsideen Gregors gelangten nicht zur Verwirk¬
lichung.
22. Das deutsche Königtum*
a) Stellung des Königtums. Der deutsche Einheitsgedauke
oder das nationale Bewußtsein gewann int Mittelalter nur lang¬
sam an Boden. Die altgerntanische Stammesgliederung wirkte
im deutschen Volke lange nach. Darum fand das Königtum int
Volksempfinden kein rechtes Verständnis; man war eher geneigt,
sich den mächtigen Großen des Stammes, den Grafen und Herzogen,
anzuschließen als dem König, der in der Ferne lebte und deffen
Bedeutung schwer erkannt wurde. Daher kam der König gewöhnlich
nur in seinem Stamme recht zur Geltung, im übrigen trat eine
gewisse Abneigung oder wenigstens Gleichgültigkeit gegen ihn zu¬
tage. Die zeitgenössischen Schriftsteller brachten sie in nmnchent
harten Urteil über einzelne Herrscher zum Ausdruck und scheutett
sich sogar nicht, Tatsachen zu Ungunsten der Könige zu verdrehen.
Sehr hart wurde z. B. von seinem eigenen Volke Heinrich IV.
beurteilt, man nannte ihn einen fluchwürdigen und verstockten
Feind des Friedens, einen Verächter der göttlichen Gerechtigkeit.
Seine Not, seine Bedrängnis schilderte man ntit auffallender Breite,
kaum hatte man ein Wort des Mitleids für ihn. Als besonders
hartnäckige Gegner des Königtums erschienen wiederholt die Herzöge
und Fürsten, sie hemmten bei ihrem Streben nach Selbständigkeit
die Erstarkung der nationalen Einheit. Kant es zu Empörungen,
so war das Volk oft geneigt, sich auf die Seite der Aufrührer zu