Full text: Bis zum Interregnum (Teil 1)

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aber jeder Mord neue Rache erforderte, entwickelten sich daraus 
nicht selten endlose Fehden, bei denen ganze Geschlechter der Ver¬ 
nichtung anheim fallen konnten. Die darin liegende Gefahr für 
das öffentliche Wohl scheinen die Germanen früh erkannt zu haben, 
sie beschränkten daher die Blutrache aus den Täter oder einen 
kleinen Verwandtenkreis und ließen bald auch an ihre Stelle eine 
Vermögensbuße treten. Doch hielt die Neigung, Blutrache zu 
üben, noch lange an. Nicht selten waren es gerade die Frauen, 
die die Männer zu blutiger Tat anspornten. So wird berichtet, 
daß eine Mutter ihren Söhnen Kieselsteine zum Frühstück aus 
den Tisch legte und sagte: „Solche Steine müßt ihr statt des 
Herzens in der Brust tragen, daß ihr euren Bruder noch uugerächt 
draußen auf dem Felde liegen laßt!" Auch in Kriemhild tritt 
uns die leidenschaftliche Lust zu blutiger Rache deutlich entgegen. 
Den Fehdegang bevorzugte man oft auch deshalb, um sich 
nicht nachsagen zu lassen, daß man durch Empfang des Wergeldes 
ein Geschäft gemacht habe, namentlich auch daun, wenn der Ver¬ 
dacht der Feigheit aufkommen konnte; denn feige Furcht war für 
den Germanen das Schimpflichste, was man ihm vorwerfen 
konnte. So wurden Streitigkeiten noch lange mit Vorliebe durch 
die Waffen ausgetragen. Das ganze Mittelalter ist von dieser 
Fehdelust erfüllt, der endlich der ewige Landfrieden einen Damm 
entgegensetzen wollte. 
Aber auch mit dem Rechtsgang war zuweilen der Kampf 
verbunden. Nicht in allen Fällen war der Eid das ausreichende 
Beweismittel; denn die Aussagen der Eidhelfer widersprachen sich 
auch zuweilen. Dann wurde in den Rechtsgang der Zweikampf 
eingefügt und eine Frage, die durch den Eid nicht genügend ge¬ 
klärt werden konnte, durch die Waffen entschieden, worauf das 
Rechtsverfahren seinen Fortgang nahm. Später wurde der Zwei¬ 
kampf auch allem zur Entscheidung von Streitfällen angewandt 
und der Ausgang als Gottesurteil angesehen. 
e) Volksversammlung. Die Rechtspflege lag, wie wir gesehen 
haben, in der Hand der Volksversammlung. Sie entschied zugleich 
über alle öffentlichen Angelegenheiten. Mochten die rechtlichen und 
staatlichen Verhältnisse in den einzelnen Völkerschaften auch von¬ 
einander abweichen, sie bildete überall die oberste Behörde und 
die Grundlage der Verfassung. Man nannte sie auch mahal, 
mahl, Thing oder Ding und den Versammlungsort auch Ding¬ 
oder Malstätte. Diese war meist die im Freien, im gelichteten
	        
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