94 Kap. 17. §. 89. Bürgerliche Verfassung.
um es von ihm als Lehen zurückzuempfangen und jeden unver¬
schuldeten Schaden am Gute vergütet zu erhalten. Auf diese Weise nahm
(vorzüglich in Südfrankreich und Italien) die Zahl der Gemeinfreien sehr ab.
Es befanden sich auch noch hie und da freie Gemeinden unter
königlicher Herrschaft, und über dieselben stand anfangs dem fränkischen
Könige nur ein sehr beschränktes Recht zu, indem er sie nicht besteuern,
sie nicht willkürlich zum Kriegsdienst aufbieten und keine Strafgewalt über
sie üben konnte. Sie gaben nur Ehrengeschenke und freiwilligen Zuzug
bei allgemeinen Verteidigungskriegen. Pippin von Her ist al und
Karl Martell unterwarfen aber auch diese freien Gemeinden einem
strengern Heer- und Gerichtsbanne, so daß Pippin der Kleine zu den
Märzfeldern nach Belieben jeden Teil des Volkes aufbieten konnte.
Märrfeld oder Märzlager, Campus Martins (oder wie es seit Pippin
d. Kl. hieß, Maifeld oder Mailager, Campus Madius), nannte man
die Heermusterung oder Waffen sch au, die jährlich im Frühlinge
der König über seine ritterlichen Dienstleute, über die kriegspflichtigen rö¬
mischen Provincialen und deutschen Stämme, und über die freien Gemeinden
aus allen Landesteilen hielt, worauf dann gewöhnlich ein Feldzug erfolgte.
Da der König nur bei den März- oder Maifeldern zugleich alle welt¬
lichen Großen beisammen hatte, so entstand, falls er auch noch die Geist¬
lichkeit dazu entbot, oft eine Reichsversammlung sämtlicher
Großen daraus; sie war aber nicht notwendig damit verbunden, und
ihre Beschlüsse waren etwas von der Heerschau Verschiedenes.
Durch Karl den Großen erhielt die ganze Verfassung des
Reiches wesentliche Verbesserungen, die er in seinen sogenannten Kapi¬
tularien festsetzte, von denen oben (§ 80) die Rede war. Unter den
Ministerialen (d. h. Hos- und Reichsbeamten), die sich unter ihm zu
einem eigenen Stand erhoben, vertrat der Erzkapellan in geistlichen,
der Pfalz graf in weltlichen Sachen den König. Die Kirchenver¬
sammlungen wurden von den Maifeldern und den Reichstagen ge¬
trennt; doch verschaffte sich die höhere Geistlichkeit bereits auf den Reichs¬
tagen großen Einfluß.
Ueberhaupt trat mit der weiteren Ausbildung des Lehenswesens der
Unterschied der Stände schärfer hervor: die großen Vasallen,
die Freiherren, die niederen Vasallen, die freien Bauern, die Geistlichen,
die Bürger in den Städten bildeten allmählich eben so viele gesonderte
Stände mit eigentümlichem Leben, so daß später die Volksvertretung
nicht mehr aus den Einzelnen bestand, sondern eine Volksvertretung
nach Ständen sich ausbildete.
90. Die Bildung schritt langsam vorwärts; doch erhielt sich dabei manches
Gute und Naturgemäße.
Die Waffenkunst stand oben an; der Freie achtete blos die Aus¬
bildung des tapfern Arms zu Kampf und Krieg. —Ackerbau und Vieh¬
zucht, früher blos den Knechten überlassen, hoben sich durch Karl's des
Großen Vorgang, der seine Meierhöfe sorgfältig bewirtschaften ließ, in schon
merklichem Grade.
Die Wissenschaft war noch dürftig und bestand meist im Bücher-
abschreiben und Abfassung von Chroniken. Ihre Pflege war in den