Kap. 23. § 115—116. Reichsverfassung, Lehensrechi. 155
und Barern die höchsten weltlichen Reichswürden, die Erzbischöfe von
Main;, Köln und Trier die höchsten geistlichen inne. Doch war das
Recht, den Kaiser zu wählen, damals noch auf keinem bestimmten Für¬
stenhause oder Lande ruhend, sondern setzte sich erst später fest, wie denn
auch der Titel „Kurfürst" erst in der Folge aufkam (§ 175). Da seit
der ältesten Zeit der Erzbischof von Mainz, als Primas Germaniae, die
Kaiserwahlen leitete, so war Mainz die herkömmliche Wahlstadt, wäh¬
rend Aachen (seit Karl dem Großen) die Krönungsstadt war. Die
Reichsgewalt selbst war noch durch kein Gesetz bestimmt. Das Reichs¬
heer war in sieben Heerschilde (Heerhaufen) geteilt.
Den ersten Heerschild hob der König selbst, den zweiten die geist¬
lichen Fürsten (die nur dem Kaiser dienstbar waren), den dritten die
weltlichen Fürsten (die auch geistlicher Fürsten Lehnsleute sein konnten),
den vierten die Grafen und Freiherrn (die auch den Fürsten dienstbar
sein konnten). Diese vier Schilde bildeten den hohen Adel.
Den fünften Schild bildeten die Bannerherrn, die ihrer Geburt nach
nicht zum hohen Adel gehörten, aber ein freies Eigengut besaßen und
freie Leute zu Mannen hatten, den sechsten der niedere Adel oder die
gemeine Ritterschaft, den siebten der freie Bauernstand.
116. Das Lehnrechiswesen. Diejenigen Vasallen oder Dienstmannen
eines und' desselben Lehnsherrn, die sich auf der gleichen Stufe der Würde
befanden, betrachteten sich als Pares, d. H. Gleiche, von einander Unab¬
hängige, so daß ihr Verhältnis zu einander nur sehr locker war.
Dieser Mangel innerlicher Beziehungen zu einander wurde in etwas
durch das aus dem Lehnsrecht entstehende Band ersetzt. Da es
nämlich für die Vasallen noch keinen besondern Richterstand gab, so
bildete sich ein eigenes Lehnsrecht aus, das auf dem Grundsätze ruhte,
daß der Gleiche nur vom Gleichen gerichtet werden könne; dem
Lehnsherrn wurde alsdann die Vollziehung des Richterspruchs überlassen.
Ein solches Lehnsgericht schlichtete sowohl die Streitigkeiten der Vasallen
unter einander, als auch die der Vasallen mit dem Lehnsherrn, so weit
nämlich jene Streitigkeiten sich auf Lehnsverhältniffe bezogen. Andere
Streitfälle mußten vor den höheren Lehnsherrn gebracht werden. War
eine Partei mit dem Lehnsrechtsspruch unzufrieden, so galt Berufung
(Appellation) an den höhern Lehnsherrn und zuletzt an den König. Diese
Berufung wurde allmählich auch auf nicht-lehnsrechtliche Fälle an¬
gewandt.