400
Kap. 40. § 247. Die Verteidigungskriege gegen Ludwig XIV.
Siebenter Zeitraum.
Von der Ohnmacht Deutschlands seit dem westfälischen Frieden
bis zur Auflösung des römisch-deutschen Reichs.
1648-1806.
Kap. 40. Die Verteidigungskriege am Rhein gegen Ludwig XIV.
247. Seit dem westfälischen Frieden trat Deutschland in die zweite
Linie, und Frankreich wurde durch feine listige und selbstsüchtige Politik
der einflußreichste Staat in Europa. In der unbegrenzten Willkürherrschast
der französischen Könige und des von ihnen abhängigen Adels und Klerus,
in der Üppigkeit und Pracht des französischen Hofes, in der von demselben
ausgehenden, durch Kunst nnd Philosophie verfeinerten Sinnlichkeit und in
der auf die Lüge gebauten Staatsknnst desselben sah die damalige Zeit das
Musterbild der Macht und Größe. Indem Deutschland in der Ohnmacht,
zu der es durch den dreißigjährigen Krieg herabgekommen war, sich dem
Zuge des französischen Einflusses immer mehr hingab und sogar Frankreichs
Sitten knechtisch nachzuahmen suchte, hatte es von nun an seine schwere
Not, sich diesen gefährlichen Nachbar fern zu halten und nicht seine völlige
Beute zu werden. Denn Frankreichs Politik, begründet durch Richelieu
unter Ludwig XIII und ausgebildet durch Ludwig XIV, strebte — im
Innern durch Unterdrückung der Rechte seiner eigenen Stünde, nach Außen
durch Ländervergrößerung auf Kosten der Nachbarvölker — nach unum¬
schränkter Weltherrschaft.
Ludwig XIV (1643—1715), König von Frankreich, hatte sich die Aufgabe ge¬
setzt, die französische Monarchie, welche Richelieus durchgreifende Gewaltsamkeit
und Mazarins verschlagene Staatskunst begründet und befestigt hatte, zu ihrer Vol¬
lendung zu führen. Er hatte die Geistes- und Willenskraft, sich in seinem, von jenen
Männern zur Einheit gebrachten Volk und Lande zum alles leitenden, alles belebenden
Mittelpunkte zu machen und dadurch dieses Volk durch eine mächtige Entfaltung aller
nationalen Kräfte zu einem die weitesten Lebenskreise Europas auf weit hinaus innerlich
beherrschenden zu erheben. Ludwig XIV war von Natur kein Genie; allein man
bemerkte stets an ihm ein klares, ruhig prüfendes Urteil, eine glückliche Auffassung der
ihn umgebenden Personen und Dinge und einen entschieden durchgreifenden Willen.
Daher war er ohne besondere Anweisung und Anstrengung zu einer gewissen Einsicht
in die allgemeinen Verhältnisse des In- und Auslandes gekommen, als Mazarin in
der letzten Zeit seines Lebens ihn in die Regierungsgeschäfte einweihte, ihm die geheimen
Fäden seiner Staatskunst in die Hand gab und die Vorzüge und Mängel der ersten
Staatsbeamten aufdeckte. Je näher er der Mündigkeit kam, desto sichtlicher beseelte ihn
die Bedeutung und Würde seiner Stellung, und mehr und mehr trat seine Ruhmsucht,
seine Eitelkeit und seine grenzenlose Selbstsucht hervor. Dabei hatte er eine glücklich