478 Kap. 47. § 283. Napoleon auf dem Gipfel seiner Macht.
kirchliche Trauung am 2. April zu Paris durch den Cardinal Fesch. Fünf
Königinnen hielten dabei der Kaiserin die Schleppe.
Die Freudenfeste zur Huldigung Napoleons und seiner neuen Gemahlin drängten
sich. Vielen schwebten dabei die traurigen Folgen der frühern österreichischen Heirat
vor Augen. Besonders erinnerte der tragische Ausgang des glänzenden Freudenfestes,
welches der österreichische Gesandte, Fürst Schwarzenberg, im Namen seines Kaisers
am 1. Juli 1810 dem Kaiserpaare gab, an das ähnliche Omen, das sich bei Maria
Antoinettens Vermählung mit Ludwig XVI zugetragen hatte. Der große, zu diesem
Feste gebaute Ballsaal geriet in Brand; viele Gäste kamen in den Flammen um,
andere wurden im Gedränge zertreten oder sonst verletzt; das Unglück war entsetzlich.
Napoleon hatte seine Gemahlin gleich anfangs in Sicherheit gebracht; die Schwä¬
gerin des Fürsten Schwarzenberg, welche ihre schon gerettete Tochter suchte, ver¬
brannte auf schreckliche Weise.
Schon vor seiner Vermählung hatte Napoleon durch ein Decret den
von ihm erwarteten Sohn aus dieser Ehe zum König von Rom bestimmt,
und nun ließ er auch für sich selbst in Rom den Quirinal zum Kaiser¬
palast einrichten, um anzudeuten, daß er die alte römische Kaiserkrone auf
seinem Haupte erneuern und den Italienern und Deutschen als ihr recht¬
mäßiger Oberlehensherr erscheinen wolle. Als vollends am 20. März des
Cometenjahres 1811 Marie Luise ihm einen Sohn gebar, da schien es,
als ob der göttliche Wille selbst das Siegel auf die Dauer seiner Dynastie
legen wollte.
Napoleons Herrschaft umfaßte jetzt außerhalb Frankreich: das König¬
reich Neapel, das Königreich Hetrurien, die illyrischen Provinzen, das
Königreich Holland (das er seinem Bruder Ludwig, weil derselbe die Kon¬
tinentalsperre nicht streng beobachtete, wieder nahm und mit Frankreich ver¬
einigte), das Großherzogtum Berg, das Königreich Westfalen, das Her¬
zogtum Oldenburg mit Ostsriesland, die Ostseestädte Hamburg, Bre¬
men, Lübeck und den Kanton Wallis. Außerdem gehorchten ihm die
deutschen Staaten des Rheinbundes, welchem, mit Ausnahme Preußens,
alle deutschen Staaten beigetreten waren. Polen, Dänemark und Schwe¬
den (wo der französische Marschall Bernadotte zum Thronfolger ernannt
wurde) standen unter seinem Einflüsse; Portugal und Spanien war
er im Begriff, sich zu unterwerfen; selbst Rußland mußte mit den übrigen
Mächten des europäischen Festlandes die (Kontinentalsperre beobachten.
So stand Napoleon im Jahre 1810 auf dem Gipfel seiner Macht,
und nichts schien ihm auf die Länge widerstehen zu können; kaum schien
Deutschland, auf welchem dieses Fremdjoch am schwersten lastete, je wieder
auf Befreiung hoffen zu dürfen, und am wenigsten konnte, schien es, das
so außerordentlich geschwächte Preußen dem Völkerbezwinger Besorgnis
einflößen.
Kap. 48. Deutschlands Befreiung vom Fremdjoche.
284. Der Krieg in Spanien zog sich durch den heldenmütigen Wider¬
stand des spanischen Volkes und durch die Verstärkung des englischen Bei¬
standes unter Wellington, welcher 1811 Portugal befreite und sogar Madrid,
wenn auch nur vorübergehend, besetzte, in die Länge. Nichts desto weniger
dachte Napoleon, im eitlen Wahne seiner unbegrenzten Herrschsucht, auch
Rußland sich zu unterwerfen, dessen Herrscher Alexander, gekränkt durch
die Vertreibung seines Verwandten, des Herzogs von Oldenburg, und die
Einverleibung dieses Landes in Frankreich, die (Kontinentalsperre in Eng-