548 Kap. 55. § 315. Handel u. Verkehr. Kap. 56. § 316. Der französisch-deutsche Krieg.
und Handelsgesetzgebung vor das Forum des Bundesrats und Reichstags
verwiesen war, war es unmöglich, die bisherige Art der Verhandlungen
von Regierung zu Regierung und die Bedingung der Einstimmigkeit der
Beschlußfassung fortbestehen zu lassen. Daher wurde am 8. Juli 1867
zwischen der Bundes-Präsidialmacht Preußen und den vier Südstaaten ein
neuer Zollvertrag auf 10 Jahre geschlossen, wonach das Veto der einzelnen
Mitglieder aufgehoben und die Gesetzgebung über das gesamte Zollwesen,
über die Besteuerung des einheimischen Zuckers, Salzes und Tabaks und
über die zur Sicherung der gemeinschaftlichen Zollgrenze erforderlichen Ma߬
regeln einem Zollparlament zur Beratung und Beschlußfassung übertragen
wurde. Es bestand aus den Mitgliedern des norddeutschen Bundesrats
und Reichstags und aus den von den süddeutschen Staaten abgesandten
Bundesräten und Abgeordneten, welche speciell hiesür und zwar nach dem
allgemeinen geheimen Stimmrecht gewählt wurden. Was die Majorität
dieses verstärkten Bundesrats und Reichstags beschloß, war für den Zoll¬
verein Gesetz. Die leitende Präsidialmacht Preußen beanspruchte nur für
den Fall ein Veto, daß es sich für Aufrechterhaltung bestehender Einrich¬
tungen erkläre; in allen übrigen Fällen unterwarf sie sich gleichfalls den
Mehrheitsbeschlüssen. Dieses Zollparlament trat, unter der gespannten Auf¬
merksamkeit von ganz Europa, am 27. April 1868 zum ersten Mal in
Berlin zusammen. Nachdem darauf das Zollparlament noch zweimal getagt
(1869 und 1870) sind seit der Gründung des neuen deutschen Reichs (325)
alle Befugnisse des Zollparlaments mit allseitiger Übereinstimmung der Re¬
gierungen auf den deutschen Reichstag übergegangen, dessen Competenz all¬
mählich auch auf andere Gegenstände des Verkehrswesens ausgedehnt ist;
namentlich erfuhren die Gewerbe-, Heimats- und Niederlassungsverhältnisse,
Maß-, Münz- und Gewichtssystem, Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen
genaue Regelung (325). —
Kap. 56. Der französisch-deutsche Krieg in den Jahren 1870 n. 1871.
316. Nachdem die Reichstage und Zollparlamente von 1868, 1869
und 1870 vor allem den innern Ausbau des norddeutschen Bundesstaates
durch eine neue Gewerbeordnung, ein neues Handelsgesetzbuch, ferner
durch ein allgemeines Strafgesetzbuch, durch ein Gesetz über die Gleich¬
berechtigung der Confessionen in bürgerlicher und staatsbürgerlicher Be¬
ziehung, durch die Errichtung von Bundesconsulaten, neue Postverträge,
durch einen neuen Zolltarif seinem Abschluß immer näher gebracht, mußte
auch das Ausland die begründete Überzeugung gewinnen, daß der nord¬
deutsche Bund in der Entwicklung seines inneren Ausbaues und in seiner
angestrengten Arbeit auf dem Gebiete der Freiheit und Ordnung im eigenen
Lande die deutsche Volkskraft nicht zur Gefährdung sondern zu einer starken
Stütze des allgemeinen Friedens auszubilden bemüht sei.
Allein das in eitler Selbstüberhebung befangene Frankreich sah mit Neid
und Eifersucht auf den nationalen Aufschwung des früher so ohnmächtigen
Nachbarlandes und dessen innere Erstarkung.
War es schon vor vier Jahren dem Herrscher Frankreichs zum Vorwurf
gemacht worden, daß er nicht die nationalen Ergebnisse des Jahres 1866
für Preußen und Deutschland durch eine bewaffnete Einmischung hinter-