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5. Leider starb der edle Titus schon nach kaum zweijähriger Regie¬
rung. Nach ihm haben noch mehrere treffliche Kaiser über Rom
geherrscht, so Trajan, unter dem das Reich die größte Ausdehnung
erlangte und welchem die Römer um seiner Herrschertugenden willen den
Beinamen „der Beste" gaben — so der friedliebende Antoninus Pius
(— der Fromme), der lieber eines Bürgers Leben erhalten, als tausend
Feinde vernichten wollte — so Mark Aurel, dem die Tugend als
das einzig wahre Gut, das Laster als das größte Übel, aller äußere
Vorzug aber als gleichgiltig erschien und der mit den Worten starb:
„Weinet nicht über mich, weinet über die Pest und das allgemeine
Elend!*
Mit des letzteren Tode aber begann für das römische Reich eine
unglückliche Zeit. Rasch folgten die Kaiser einander, von der kaiser¬
lichen Leibwache nach Belieben ein- und abgesetzt; meist waren sie grau¬
sam und gewaltthätig, und nur wenige starben eines natürlichen Tvdes.
Immer höher stieg die innere Verwirrung; immer größer wurde die
Sittenlosigkeit des Volkes; immer rascher eilte das Reich seinem Unter¬
gänge entgegen. Die abgelebte Heidenwelt sank vor dem neuerstandenen
Christentums in Trümmer, und der entkräftete Staat erlag den Angriffen
der jugendfrischen Germanen.
XVI.
Das Christentum in den ersten Jahrhunderten.
i.
Kründung.
1. Innerhalb des großen römischen Weltreichs erwuchs — einem
Senfkorn gleich, das sich allmählich zum weithiufchatteuden Baume ent¬
faltet — ein andres Reich, das nicht von dieser Welt und doch bestimmt
war, die ganze Welt zu umfassen.
In Armut und Dürftigkeit wurde sein Stifter — Jesus Chri¬
stus — im Stalle zu Bethlehem geboren, und still und verborgen reiste
der Zimmermannssohn in Nazareth zum Jüngling und Mann. 30
Jahre alt, betrat er, von Johannes dem Täufer im Jordan geweiht,
die Laufbahn als Erlöser und Messias. Mit 12 aus niederem Stande
erwählten Jüngern zog der Meister, die frohe Botschaft des Heils ver¬
kündend, Mühselige und Beladene erquickend. Kranke heilend und Tote
erweckend, fortan im jüdischen Lande umher. Aber die Pharisäer, deren
Scheinheiligkeit er aufdeckte, und die Sadducäer, deren Unglauben er
strafte, verfolgten ihn mit ihrem Haß, und das wankelmütige Volk,
das den als König in Jerusalem Einziehenden mit jauchzendem Hosianna
empfing, rief schon nach wenig Tagen sein „Kreuzige, kreuzige ihn!"