15
5. Auf die Nachricht von dem Ausstaube hin berief Astyages den
Cyrus durch einen Boten zu sich. Cyrus gab zur Antwort, er werde
eher kommen, als dem Könige lieb sei. Nun beauftragte Astyages den
Harpagus, den Empörer zu züchtigen. Allein dieser ging mit seinem
Heere, wie er es früher versprochen, zum Cyrus über. Da ließ Astya¬
ges die Magier, bic ihn nach der Auffindung des Knaben beruhigt hat¬
ten , auf Pfähle spießen und stellte sich selbst an die Spitze der Meder.
Aber er wurde besiegt und gefangen. Jetzt verlachte und verhöhnte ihn
Harpagus, indem er ihm mitteilte, daß der Aufstand der Perser sein
Werk sei. Da nannte ihn Astyages einen thörichten und ungerechten
Menschen — thöricht weil er nicht sich selbst, sondern einem andern zur
Herrschaft verhelfen, und ungerecht, weil er um eines Einzelnen willen
das ganze Volk der Meder in Knechtschaft gebracht habe.
So wurde durch Cyrus die medische Herrschaft gestürzt
und das persische Reich gegründet.
6. Durch glückliche Kriege erweiterte Cyrus sein Reich
westwärts bis zum Halys (Fluß in Kleinasien).
Westlich vom Halys herrschte Krösus, König von Ly¬
dien. Unermeßliche Schätze hatte er in seiner Hofburg in seiner Haupt¬
stadt Sardes aufgehäuft. „Reich wie Krösus," ist noch heute eine
sprichwörtliche Redensart. Einst kam S o l o n, ein griechischer Weiser,
zu ihm. Krösus ließ den Gast durch alle seine Schatzkammern führen
und ihm alle seine Kostbarkeiten zeigen. Daraus fragte er ihn, wen er für
den glücklichsten Sterblichen hatte; er that dies in der festen Überzeugung,
sein Gastfreund werde ihn als solchen bezeichnen. Solon aber nannte
Tellus, einen Bürger von Athen; denn, sagte er, nach einem glück¬
lichen Leben ward ihm ein herrliches Ende zu teil: er fiel in einem
siegreichen Kampfe für seine Vaterstadt, die ihm an der Stelle, wo er
gefallen, ein Denkmal errichtete. — Als Krösus weiter fragte, wen So-
lon nach diesem für den Glücklichsten erkläre, antwortete derselbe: Zwei
Jünglinge, Kleobis und Bit on, die Söhne einer Priesterin. Als die
Mutter einst zum Opfer fahren mußte und die Zugtiere ausblieben,
spannten sich jene selbst an den Wagen und zogen ihn bis zum Tempel.
Ihre That wurde von allen bewundert; die Männer lobten die Jüng¬
linge wegen ihrer edlen Gesinnung; die Frauen aber priesen die Mutter
glücklich, daß sie solche Söhne habe. In ihrer Freude bat die Mutter
die Götter, sie möchten ihren Söhnen das geben, was für Menschen
das Beste sei. Ermüdet vom Wege legten sich die beiden Jünglinge
im Tempel.zum Schtafe nieder und erwachten nicht wieder. — Unwillig
sprach Krösus: „ ©astfreund von Athen, hältst du mein Glück so gering,
daß du mich nicht einmal jenen gleich achtest?" Solon aber erwiderte:
„Gar viele Tage, o König, umfaßt das menschliche Leben, und doch
gleicht keiner dem andern. Wechselvoll ist das Schicksal und der Neid
der Götter nicht zu ermessen. Darum ist niemand vor seinem Tode
glücklich zu preisen." — Solons Wort ließ das Herz des Krösus unge¬
rührt; kalt und unfreundlich entließ er den Weisen.
7. Die wachsende Macht des Cyrus erfüllte Krösus mit