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Volk sich um die Leiche, denn — so klagte der Chronist — „nicht seit
Karolus Tod ist ihm ein Herrscher vergleichbar, und nicht wieder erscheint
ein Hirt dem Volke wie dieser."
IV.
1. Ottos Sohn und Nachfolger Otto II. regierte von 973
— 983. 18 Jahre alt bestieg er den Thron; von kleinem aber kräftigem
Körperbau und blühender Gesichtsfarbe, war er entschlossen zur That und
rasch, oft wohl allzukühn in der Ausführung. Überall, wo er das
Reich gefährdet sah, trat er mit Kraft und Entschieden¬
heit auf.
Den französischen König Lothar gelüstete es nach der Wiedergewin¬
nung Lothringens. Plötzlich, mitten im Frieden, überfiel er den Kaiser,
der ruhig in Aachen verweilte. Kaum entging Otto der Gefangenschaft,
und Lothars Leute verzehrten noch fein eben verlassenes Mittagsmahl.
Lothar ließ Aachen plündern und den Adler auf der Kaiserpfalz, der nach
Osten blickte, nach Westen richten, zum Zeichen, daß Lothringen von nun
ab zu Frankreich gehöre; nach drei Tagen zog er wieder von dannen.
Aber noch vor der Grenze ereilte ihn der Herold des Kaisers und kün¬
digte ihm an, sein Herr werde den heimlichen und feigen Überfall durch
einen offenen Kriegszug vergelten. Einmütig versprachen die deutschen
Fürsten, wie Ein Mann zusammenzustehen, um die Deutschland angethane
Schmach zu tilgen. Mit 60000 Mann zog Otto über die Grenze
nach Frankreich bis vor die Thore von Paris. Und wenn er auch um
der in seinem Heere ausgebrochenen Krankheit und um der rauhen Jahres¬
zeit willen von einer Belagerung absehen und sich begnügen mußte, von
einem nahegelegenen Hügel herab ein gewaltiges Tedeum in die Stadt
schallen zu lasten, so flößte er doch durch seinen Kriegszug dem Feinde
einen heilsamen Schrecken ein, so daß Lothar zwei Jahre später allen An¬
sprüchen auf Lothringen entsagte.
Als Otto Deutschland ruhig und gesichert wußte, zog er nach Italien.
Als Gemahl einer griechischen Prinzessin faßte er den
Plan, Unteritalien, das bis dahin teils den Griechen, teils
den Saracenen gehörte, zu unterwerfen. Allein der Ver¬
such mißlang. In einer entscheidenden Schlacht siel er in einen
Hinterhalt der Feinde; sein Heer wurde fast gänzlich vernichtet; mit Mühe
entging er selbst der Gefangenschaft. Rasch verbreitete sich die Kunde
seiner Niederlage; in Italien entstanden Unruhen; im Norden erhoben sich
Slaven und Dänen. Solcher Wechsel des Glücks erschütterte Ottos Ge¬
sundheit; in Rom brach sie zusammen; dort ist er gestorben und
begrab en.
2. Er hinterließ die Krone seinem 3jährigen Sohne
Otto III. (983—1002). Wohl wuchs dieser unter der treuen
Leitung der Mutter und Großmutter zu einem Wunder an Gelehr¬
samkeit und Bildung heran; aber Deutschland hattewenig
Segen davon; sein Herz zog ihn nach Italien, nach Rom, das
er zur Hauptstadt des Reichs zu erheben gedachte. In Jta-