Object: Vaterländische Geschichte der neuesten Zeit

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Die Sozial reform. 
Es gibt keinen Staat, der alle zufriedenstellt, und es wird 
auch keinen Zukunftsstaat geben, der dies vermöchte. Solange 
die Menschen verschieden bleiben an Einsicht, Willensstärke und 
sonstigen moralischen Kräften, so lange werden auch der Kluge, 
Fleißige und Sparsame vor ihren Gegensätzen im Vorteil sein; 
der Besitz und der Erwerb der Lebensgüter wird ihnen immer 
besser glücken, als den ändern. Allerdings ist die Ungleichheit 
heute größer denn je. Der Aufschwung von Handel und Industrie 
hat auch den Gewinn riesiger Vermögen gebracht und es ist 
begreiflich, wenn der Arbeiter mit Neid auf diese sieht. Es liegt 
so nahe, daß er seinen Anteil am Verdienst damit vergleicht. 
Es wächst seine Verstimmung noch mehr, wenn er den Worten 
seiner Parteigenossen lauscht und nur zu gern sich einreden läßt, 
daß ihm viel mehr zukomme. Die Gegenwart mit ihrem allge¬ 
meinen Wahlrecht und ihrer Förderung des Vereinslebens sagt 
ihm außerdem, daß er eine Macht besitze, den Unmut geltend 
zu machen und daß ihm das geschlossene Auftreten in sozial¬ 
demokratischen Vereinigungen anscheinend eine Möglichkeit biete, 
seinen Wünschen näher zu kommen. 
Nun gibt es aber unbedingt eine Grenze für alle solche 
Bestrebungen. Das Unternehmen, für welches gearbeitet wird, 
muß erwerbsfähig bleiben. Darnach richtet sich unverrückbar 
die Möglichkeit der Verbesserung. Wird Unmögliches verlangt 
oder gar erreicht, so sägt man den Ast ab, auf dem man sitzt.*) 
*) Zwei Belege für die überraschend schnell wachsende Belastung 
der Industrie durch die Arbeiterfürsorgegesetze. 
Zu den bestgestellten und größten Werken gehören unter den Hütten 
die Bochumer Gußstahlfabrik und unter den Zechen die Gelsenkirchener 
Bergwerksgesellschaft. Die erstere zahlt vom Reinertrag 49,69 °/o, die 
andere 54,18 °/o für die Wohlt'ätigkeitseinrichtungen. Das Wachsen vollzog 
sich bei der Gelsenkirchener Gesellschaft folgendermaßen: 
1873 . . 
104 235 
Mark 
oder 
4,63 °/o 
vom 
Reingewinn 
1880 . . 
173 106 
r> 
59 
16,24 „ 
» 
1890 . . 
742 813 
V 
18,35 „ 
ft 
1900 . . 
. 2 228 528 
>5 
r> 
23,14 „ 
ft 
1907 . . 
. 6 004 020 
» 
34,76 „ 
75 
Y> 
1908 . . 
. 7 065 595 
V 
n 
54,18 „ 
V 
n 
Es liegt auf der Hand, daß die immer rascher sich vollziehende 
Steigerung zuletzt dahin führen muß, daß auch das bestgestellte Unter¬ 
nehmen in sich zusammenbricht. Schwach gestellte Werke gehen natürlich 
noch viel schneller zugrunde.
	        
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