Full text: Deutsche Dichtung des 18. Jahrhunderts (Band 2, [Schülerband])

Gottsched und die Schweizer 
Nachbarvölkern zu heben, darum entbrannte in der nächsten Zeit ein 
ebenso lebhafter als in seinen Folgen ersprießlicher Wetteifer. 
Zwei Wege gab es: Rat und Tat. Der kürzere wäre der letztere 
gewesen; aber zur Tat gehört der Mann. Und der war noch nicht auf 
dem Platze. So trat einstweilen an die Stelle der Produktion 
die Kritik, an die Stelle der Praxisder Kampfder Theorie. 
Kundige Leser wissen, daß hier von dem Streite zwischen Gottsched und 
den Schweizern die Rede ist, der im Anfang der vierziger Jahre ausbrach, 
zunächst Klopstock bilden und die Gemüter auf ihn vorbereiten half, 
dann aber durch das Erscheinen seines „Messias“ erst den rechten Mittel⸗ 
punkt und neuen Schwung erhielt. 
Gottsched und die beiden Züricher Gelehrten, Bodmer und 
Breitinger, waren längere Zeit Hand in Hand gegangen. Von den 
kritischen Bemerkungen über neuere Dichter, welche die letzteren ihrer 
Wochenschrift „discurse der Maler“ seit 1721 hie und da ein— 
streuten, bekannte Gottsched manche Anregung empfangen zu haben. 
Und hinwiederum, als dieser im Jahr 1729 seine „Kritische Dicht— 
kunst“ herausgab, machte das enzyklopädisch Umfassende dieser Arbeit, 
deren Brauchbarkeit bald durch wiederholte Auflagen sich beurkundete, 
auf die Schweizer solchen Eindruck, daß sie für gut fanden, der Gott— 
schedschen Dichtkunst ein Werk unter gleichem Titel zur Seite zu stellen. 
Der Zusammenstoß mit Gottsched war hier noch mehr vermieden als 
gesucht; aber von jetzt an gab ein Wort das andere, und der Kampf 
brach in einer Reihe von Zeitschriftartikeln und eigenen Streitschriften 
zwischen den Führern und ihren beiderseitigen Anhängern los. 
Wenn man weiß, mit welcher Erbitterung dieser Streit geführt 
worden ist, wie er das ganze literarische Deutschland jener Zeit in zwei 
feindliche Heerlager gespalten hat, so stellt man sich wohl vor, daß die 
Streitenden in den Grundanschauungen uneins gewesen, von ganz ent— 
gegengesetzten Standpunkten ausgegangen seien. Bei näherem Zusehen 
verwundert man sich dann, alles anders zu finden, die Gegner in wesent— 
lichen Voraussetzungen einig zu sehen, die Streitpunkte oft mühsam her— 
vorsuchen und feststellen zu müssen. Um so mehr jedoch gibt uns eine 
kurze Darstellung des Streites ein Bild der trüben und verworrenen 
Zustände, aus denen Klopstock und weiterhin Lessing die deutsche Lite— 
ratur herauszuarbeiten hatten. 
Dem Leipziger Professor Gottsched war sein Handbuch der Dicht— 
kunst, wie ein ähnliches für die Redekunst, aus akademischen Vorträgen 
erwachsen. Er stellte mit seinen Zuhörern poetische wie rhetorische 
übungen an, und so wollte er nun auch in jenem Werke „Anfänger in
	        
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