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Tage begann der Angriff auf die Stadt, der aber völlig zurückgeschlagen
wurde; denn die Türken gossen siedendes Del auf die Türme und
schleuderten Steine und Wurfgeschosse hinab. Nur ein Trost war den
Christen geblieben: das große Kreuz auf dem Turme Gottfrieds von
Bouillon war unversehrt. Am folgenden Tage wurde der Kampf er¬
neuert ; aber schon hatten die Kreuzfahrer sieben Stunden lang vergeblich
gekämpft, als sie auf ferner Höhe einen Ritter in glänzender Rüstung
erblickten, von der Sonne wie mit einem Heiligenschein umleuchtet. Er
streckte feine Arme über die Stadt aus, und die Christen sahen in ihm
einen Gesandten des Herrn, der ihnen den Sieg verhieß. Ermutigt
drangen sie wieder auf die Stadt ein; es gelang ihnen, die Säcke,
welche die Türken als Schutz der Mauern an diesen befestigt hatten,
anzuzünden, und als der Wind den Rauch der Stadt entgegenwehte,
so daß die Belagerer ihre Angreifer nicht beobachten konnten, ließ
Gottfried von Bouillon eiligst die Fallbrücke seines Turmes ans die
Mauern Jerusalems herab (15. Juli 1099); andre erklommen sie auf
Sturmleitern, und bald überflutete das Heer der Kreuzfahrer die Stadt.
Sie richteten dort ein Blutbad an, wie einst der Heide Titus bei
der Zerstörung Jerusalems (70 n. Ch.). Die Juden wurden mit Weib
und Kind in ihrer Synagoge verbrannt, wohin sie sich geflüchtet hatten,
und von den Türken wurde niemand verschont, so daß die Christen
buchstäblich im Blute ihrer Feinde wateten. Als sie des Sengens und
Mordens müde waren, reinigten sie sich vom Blute ihrer Opfer und
zogen barfuß, Psalmen singend, in die Auferstehungskirche. Deckten
ihre Bußübungen und ihre Gebete die Gräuelthaten dieser Eroberung
und waren solche Christen edlere, bessere Beschützer des Hl. Grabes, als
die Türken? Jedenfalls gelobten die Kreuzfahrer freudetrunken Besserung
ihres Lebens, und erwählten Gottfried von Bouillon einstimmig zum
König von Jerusalem. Doch nannte er sich nur Beschützer des heiligen
Grabes; er wollte sich nicht mit einer Königskrone schmücken, wo der
Erlöser eine Dornenkrone getragen hatte. Gottfried starb schon im
folgenden Jahre, und sein Bruder Balduin nahm die Würde eines
Königs von Jerusalem an. Doch fiel Palästina nach diesem ersten
Kreuzzuge durch die Uneinigkeit der Christen bald wieder in die Hände
der Türken, und das christliche Abendland sollte noch zwei Jahrhunderte
lang vergeblich um den Besitz des hl. Landes kämpfen.
Zu dieser Zeit erreichte neben dem französischen besonders das
deutsche Rittertum seine höchste Blüte. Mit den edelsten Eigenschaften