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kaner blieben zurück, und nun begann wüstes Schreien und Lär¬
men: „Nieder mit der Kammer! Keine Deputirten mehr!'' Der
Präsident läutete, um Ruhe zu schaffen; man hörte ihn nicht,
und endlich verließ auch er den Saal. Männer mit gezogenem
Säbel und gespannter Flinte nahmen die Sitze der Abgeordneten
ein, schrieen durcheinander, Alle wollten reden, Keiner zuhören.
Der alte gebrechliche Dupont ward aus den Präsidentenstuhl ge¬
hoben. Lamartine wollte reden, ward aber stets unterbrochen.
„Ich will die provisorische Regierung lesen!" ruft er, aber der
Lärm dauert fort, denn Jeder hat ein Hoch aus diesen oder jenen
auszubringen. Lange dauert es, ehe Stille eintritt. Nun verliest
Lamartine die Namen: Aragv, Dupont, Lamartine, Cremieux,
Ledru Rolli», Büreau de Pussp, Garnier Pages, Marie! Da
schwingt ein Kerl die Fahne und ruft: ..Keine Bourbonen mehr,
eine provisorische Regierung, und dann Republik!"
Nachdem die neue Regierung auf diese Weise „vom Volke"
ernannt war, zog sie nach dem Rathhause. Der alte Dupont
ward in einem Wagen dorthin geschafft, zwei Blonsenmänner nah¬
men neben ihm Platz, zwei andere besetzten den Kutschersitz und
der Fünfte mit einer rothen Fahne postirte sich hinten auf den
Wagen. Die übrigen Regierungsmänner folgten zu Fuß. La¬
martine trank ein Glas Wein und rief: ,,Meine Freunde, das ist
das Gastmahl, zu dem wir Euch eingeladen haben!"
Auf diese Weise trat das Haus der Orleans ab und die
Republik ein.
Die Republik Frankreich und der Ausstand der Rothen
(1848).
Frankreich war nun auch die Orleans los, und der Intri-
guant Thiers hatte seine Ministerstelle verloren. Die 3000 Mann
entschlossener Republikaner siegten über 30,000 Mann Truppen
in Folge der allgemeinen Rathlosigkeit. Der gerichtlich als Be¬
trüger verurtheilte Girardin hatte eine Dynastie gestürzt und
Cremieux sich auf einige Wochen eine Regentenstelle erlogen.
Ludwig floh über St. Cloud und Trianon nach England, wohin
ihm seine Familie folgte! Sein Schloß zu Neuilly ward nieder¬
gebrannt, die^ Tuilerieu bis auf die nackten Wände ausgeplündert.
Unter dem Sturmläuten der Glocken und dem Krache« des Ge-
wehrseners zog die provisorische Regierung nach dem Rathhause.
Der Platz war voll Menschen. Die Regierungsmänner fanden
wenig Beachtung und mußten sich vom Menschenstrom treiben