R 
habe einen Mann gekannt, der nicht nein sagen konnte. Er war jedermanns 
Freund — nur nicht sein eigner. Er schien es sich zur Aufgabe gemacht zu 
haben, alles zu tun, was man von ihm verlangen würde. Stets war er 
bereit, einer Äufforderung nachzukommen, seine Stimme zu geben, Geld zu 
leihen oder Bürgschaft zu leisten. Sein Vater hatte ihm ein hübsches, kleines 
Vermögen hinterlassen; aber sofort fanden sich Freunde, die es mit ihm zu 
teilen wünschten. „Setze doch deinen Namen unter den Wisch!“ so lautete 
die Bitte, die seine speziellen Freunde an ihn des öfteren richteten, und er war 
stets bereit, den Wunsch zu erfüllen. Nach drei Monaten war dann ein 
Wechsel von hohem Betrag fällig, und der, welcher ihn bezahlen mußte, war 
der Mann, der nicht nein sagen konnte! Schließlich machte ein Mälzer 
— fur den er gutgesagt, obwohl er mit ihm nur auf Grüßfuß stand — 
bankrott, weil er wagehalsig in Aktien spekuliert und dabei große Verluste 
erlitten hatte. Die Gläubiger des in Papieren machenden Mälzers hielten 
sich an den Bürgen, der durch seine Bürgschaft fast um all das Seine kam. 
Aber er nahm noch nicht Vernunft an. Er blieb der Pfosten, an den sich 
jeder Taumelnde lehnte, der Esel, auf dem jeder Faule ritt, die Mühle, die 
edermanns Korn, außer ihrem eigenen, mahlte — kurz: ein gutherziger Narr, 
der um alles in der Welt nicht nein sagen konnte. Emiles, Sparsamkeit.) 
50. Eine brave Arbeiterfrau. 
Spare, lerne, leiste was: 
so hast du, kannst du, giltst du was. 
Kaufe nicht, was du nicht nötig hast, 
sonst mußt du bald verkaufen, was du hast. 
Ein Kattundrucker in einer großen Fabrikstadt, der sich an den täg— 
lichen Besuch des Wirtshauses gewöhnt hatte, ließ sich von seiner jungen 
Frau überreden, ihr auch jeden Tag ein Maß Bier zuzubilligen. Zuerst 
wollte er sich zu dem Abkommen nicht verstehen; denn obwohl er selbst 
einen guten Trunk nicht verachtete, so hätte er doch lieber gesehen, wenn 
sein Weib enthaltsam und nüchtern gewesen wäre. Da sie aber fleißig 
und brav war, so vermochte er ihrer Bitte nicht zu widerstehen, und so 
hatte sie täglich ihr Maß Bier, während er allabendlich im Wirtshause 
seine zwei, auch wohl drei Maß zu genießen pflegte. Keiner mischte sich 
in die Angelegenheiten des andern, außer daß die junge Frau es bisweilen 
durch einen lleinen Kunstgriff, etwa, indem sie ein Lieblingsessen ihres 
Gatten zurichtete, es zustande brachte, daß der im übrigen fleißige und 
brave Arbeiter zwei Slunden früher als gewöhnlich nach Hause kam oder 
gar einen ganzen Abend daheim verbrachte. 
Am Morgen des ersten Jahrestages ihrer Hochzeit sagte der Mann 
nicht ohne heimliche Vorwürfe zu seiner freundlichen, sauberen Frau— 
„Marie, wir haben uns keinen Feiertag gegönnt, seit wir getraut sind. 
Heute müßten wir eigentlich einen Ausflug machen und deine Mutter 
drüben im Dorfe besuchen; aber ich habe keinen Groschen in der Tasche.“ 
— „Also Du möchtest gerne mit mir ausfliegen?“ sagte die Frau freund— 
lich, indem sie feuchten Auges lächelte, „so will ich heute fuͤr uns beide 
zahlen.“ — „Du bezahlen?“ sagte der Mann halb verwundert, halb 
spöttisch, „woher willst Du denn Geld haben?“ — „Ich habe täglich ein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.