Full text: Die Blütezeit der griechischen Philosophie (H. 3)

Lthik 23 
vielgestaltig; denn das Böse hat die Natur des Grenzenlosen, wie schon die 
pythagoreer meinten, das Gute dagegen die Natur des Begrenzten. Das 
Rechthandeln dagegen ist eingestaltig. Darum ist jenes leicht, dieses aber 
schwer, seicht ist es, das Ziel zu verfehlen, schwer, es zu treffen. Darum 
ist das Zuviel und das Zuwenig für die unsittliche, die rechte Mitte da¬ 
gegen für die sittliche Handlung bezeichnend: ,,Redliche sind einfach, Schlechte 
von mancherlei Art." 
4. Die Freiheit des Willens. 
1. Nik. Ethik III, 1: AIs nicht frei gewollt gilt das, wozu jemand 
durch Zwang oder Irrtum veranlaßt wird. Durch Zwang bewirkt ist eine 
Handlung, deren bewegende Ursache außerhalb des handelnden liegt. (Solche 
Handlungen sind entweder nicht frei gewollt oder tragen gemischten Charak¬ 
ter.) ... Die Handlungen, die aus Irrtum geschehen, sind sämtlich nicht frei 
gewollt; aber wirklich unfreiwillig ist nur die Handlung, die Bedauern und 
Selbstanklage zur Folge hat. wer irgend etwas auf Grund eines Irrtums 
getan hat, aber über feine Handlung kein Bedauern empfindet, der hat 
allerdings, was er im Irrtum getan hat, ohne freien Willen, aber doch 
auch wieder nicht ohne feinen Willen getan; sonst würde es ihm leid tun. 
Also als unfreiwilliger Täter gilt, wer über das im Irrtum Getane Be¬ 
trübnis empfindet; wer es nicht bedauert, der mag, da fein Verhalten doch 
ein anderes ist, statt unfreiwillig nicht-frei-wollend heißen. 
2. Nik. Ethik III, 2: Das vorsätzliche ist das eigentümlichste Merkmal 
des sittlichen Willens und ein noch bedeutsameres Kennzeichen des Charak¬ 
ters, als es die Handlungen selber sind. TDas vorsätzlich ist, das ist auch 
frei gewollt; aber die beiden Begriffe fallen doch nicht zusammen, sondern 
der frei Gewallte ist der umfassendere Begriff. Das frei Gewollte kommt 
auch bei den Kindern und Tieren vor, die Vorsätzlichkeit nicht, und die 
raschen Handlungen des Augenblicks nennen wir zwar frei gewollt, aber 
den Charakter der Vorsätzlichkeit schreiben wir ihnen nicht zu. . . . Unsere 
sittliche Beschaffenheit bestimmt sich danach, ob wir uns das 
Gute oder das Böse zum Vorsatz machen, nicht danach, was wir für 
Ansichten hegen. 
3. Nik. Ethik III, 5: Titan sagt ja vielleicht: jemand hat nun einmal 
die Natur, keine Sorgfalt auf etwas zu verwenden. Dann aber ist er eben 
schuld daran, daß er durch sorgloses In-den-Tag-hinein-Leben diese Natur 
angenommen hat. Wenn die Menschen ungerecht oder ausschweifend ge¬ 
worden sind, so haben sie es selbst verscherzt, die einen dadurch, daß sie 
fremdes Hecht verletzten, die andern dadurch, daß sie ihre Tage mit Trink¬ 
gelagen und ähnlichen Vergnügungen verbrachten. Denn wie der Mensch sich 
im einzelnen Falle benimmt, danach gestaltet sich sein Charakter. Dafür 
dienen als Zeugnis diejenigen, die sich für einen Wettkampf oder sonst ein 
Geschäft einüben; solche Leute bleiben unausgesetzt bei derselben Tätigkeit.
	        
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