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Ludwig XV. 1715—1774
der Staatsgewalt, das unerträglich schien, befreienden Volkes machte
auf die aufgeklärten Europäer, zunächst auf die Franzosen einen
ungeheuren nachhaltigen Eindruck, der auf die folgenden Ereignisse
einen wesentlichen Einfluß ausübte.
II. Das Zeitalter der Umwälzungen (Revolutionen)
1789 bis jetzt: Kämpfe um die Verfassung in den
festländischen Staaten. Soziale Umtriebe. Schroffere
Scheidung der Nationalitäten.
I. Das Zeitalter der französischen Staatsnmwälzung
mtb Napoleons I. 1789-1815.
1. Ursachen der französischen Staatsumwälzung (Revolution)
von 1789.
§ 52. Ludwig XV. 1715-1774. Regentschaft Philipps
von Orleans. — Der Schotte Law. — Fleury. — Die
Pompadour.] Der furchtbare Umsturz aller staatlichen und gesellschaft¬
lichen Verhältnisse, der in Frankreich scheinbar so plötzlich 1789 erfolgte,
war durch eine lange Reihe von Umständen ganz allmählich vorbereitet.
Einen großen Teil der Schuld trug ohne Zweifel die verkehrte und
überspannte Anwendung der königlichen Gewalt, die unter Ludwigs XIV.
unwürdigem und unfähigem Urenkel Ludwig XV. in die schrankenloseste
Willkür ausartete. Der erst fünfjährige König stand zunächst unter
der Vormundschaft des begabten, aber lasterhaften Herzogs Philipp
von Orleans, eines Neffen Ludwigs XIV., der einen Versuch machte,
dem'stark verschuldeten Staate aus der Geldverlegenheit zu helfen und
sich hierbei des Schotten Law [lau] bediente; dieser Geldkünstler
gründete eine Bank und eine Handelskompanie auf Aktien, beides
zur Ausbeutung des unteren Mississippi-Gebietes, ein für damalige
Zeit neues Unternehmen, das zwar auf einem fruchtbaren Gedanken
beruhte, aber durch Übertreibungen von dem Werte der ausgegebenen
Zettel schließlich vollständig scheiterte, sodaß bei einem Verluste von
2000 Millionen Tausende von Familien ins Unglück gerieten. Einige
Zeit nach dem Tode des Regenten (1723) übernahm Ludwig XV.
selbst die Herrschaft, anfangs unter der verständigen Leitung des
Kardinals Fleury, der durch feine sparsame Verwaltung und seine