106 IV. Der Verfall d. mittelalterl. .Hierarchie u. d. Reformbestrebungen usw.
waren. Ihr Besitz war infolge zahlreicher Gütereinziehungen zum
großen Teil in die Lände des Königs gekommen und hatte dessen
Stellung so gestärkt, daß er von den Geldbewilligungen des Parla¬
ments unabhängiger wurde. Auch war durch die Schwächung des
Adels dem Parlamentarismus einer seiner wichtigsten Träger geraubt.
So kam es, daß die Tudors ein tatsächlich absolutes Regi¬
ment führen konnten, wenn auch grundsätzlich die Rechtsstellung des
Parlaments nicht angetastet wurde.
IV. Der Verfall der mittelalterlichen Hierarchie und die Reform-
bestrebungen der Kirchenversammlungen.
Den Gewinn aus dem Kampfe zwischen Kaisertum und Papsttum
hatten die deutschen Landesfürsten davongetragen. Inzwischen war im
13. Jahrhundert das französische Königtum erstarkt und hatte sich auch
der Engländer siegreich erwehren können. So lag es für die Päpste
nahe, sich gegen die letzten Reste der staufischen Macht in Italien
französischer Äilfe zu bedienen: Karl von Anjou erhielt das König¬
reich Neapel. König Philipp IV. wagte es nun, die Geistlichkeit und
die Klöster seines Landes zur Besteuerung heranzuziehen. Darüber
geriet er in Streit mit Papst Bonifaz VIII., in dem er die Großen
des Reiches, Vertreter des Adels, der hohen Geistlichkeit und der
Städte, zum erstenmal als »Etats Generaux« versammelte. In ge¬
waltiger nationaler Erregung stellten sie sich auf die Seite ihres Königs.
Demgegenüber faßte der Papst die Machtansprüche des Römischen
Stuhls 1302 in der Bulle »Unam sanctam« zusammen, in der er
ihnen einen schärferen Ausdruck gab, als es je zuvor geschehen war.
Der Äeilige Vater sei der Inhaber der beiden von Christus der Kirche
verliehenen Schwerter, d. h. der geistlichen und der weltlichen Gewalt\
Diese dürfe somit von den weltlichen Obrigkeiten nur im Interesse und
im Aufträge der Kirche angewandt werden. Ein Fürst, der anders handle,
widersetze sich der gottgewollten Ordnung. Darum sei es für jede mensch¬
liche Kreatur, wertn sie selig werden wolle, notwendig, dem römischen
1 Wie das mittelalterliche Papsttum Schriftworte im Sinne seiner
Äerrschaftsansprüche anzuwenden wußte, dafür ist die in der Bulle »Unarn
sanctam« gegebene Auslegung von Luk. 22, 38 und Matth. 26, 52 bezeichnend.
Dort heißt es: „Daß in seiner (d. H. des Papstes) Gewalt zwei Schwerter sind,
das geistliche und das weltliche, das lehren uns die Worte des Evangeliums
(Luk. 22, 38). Denn als die Apostel sagten: ,Siehe, hier sind zwei Schwerter/
nämlich in der Kirche, da antwortete der Lerr nicht: ,Es ist zuviel/ sondern:
,Es ist genug/ Wer nun sagt, in des Petrus Gewalt sei das weltliche Schwert
nicht, der achtet schlecht auf des Lerrn Wort (Matth. 26, 52): ,Stecke dein
Schwert in die Scheide.'"