V. Landesherrschaften und Reichsreform in Deutschland. 119
Reichten diese Mittel nicht aus, so bewilligten ihm die Stände eine
„Bede", die in der Regel die Bauern in der Gestalt einer Grund¬
steuer aufbringen mußten. Die Verwendung der so beschafften Mittel
nahmen die Stände jedoch unter ihre eigene Aufsicht. Besonders
große Bedeutung erlangten die Land stände in den norddeutschen
Ländern im 16. Jahrhundert, da sie öfter zur Deckung der landesherr¬
lichen Schulden umfangreiche Beden bewilligen mußten, dafür aber
auch starken Einfluß auf die Regierung erlangten. So suchten sie
ihre rechtliche und wirtschaftliche Stellung möglichst zu befestigen.
Der Adel rundete seine Rittergüter ab und brachte die Bauern immer
mehr in Abhängigkeit und Untertänigkeit; die Städte wachten vor
allem darüber, daß kein unerlaubter Gewerbebetrieb auf dem Lande
die Einnahme ihrer Zünfte schmälere.
Die ständischen Landtage waren also nichts weniger als eine
Vertretung des Volkes. Sie stellten vielmehr die Gesamtheit der
herrschenden Klassen dar: des Adels, der Geistlichkeit und der Stadt¬
magistrate, die sich mit dem Fürsten in die Herrschaft über das Land
teilten. Unter demselben Einfluß stand die Gerichtsbarkeit. Das von
Kurfürst Joachim I. als höchster Gerichtshof in Brandenburg eingesetzte
Kammergericht bestand zu zwei Dritteln aus Mitgliedern, die von
den Ständen gewählt wurden. Die örtliche Rechtsprechung war auf
dem Wege der Verpfändung aus der Äand des Fürsten meistens an
die Rittergutsbesitzer übergegangen. Diese „Patrimonialgerichtsbar¬
keit" über die Bauern hat zum Teil bis ins 19. Jahrhundert be¬
standen. Die Steuerverwaltung der Stände war neben der landes¬
herrlichen Domänen- und Regalienverwaltung völlig selbständig.
Von einer einheitlichen Staatsgewalt kann also unter der Herrschaft
dieser Zustände nicht die Rede sein. Man spricht vielmehr von dem
„Dualismus" des ständischen Staates, d. H. von einer Zweiteilung
der Regierungsgewalt. Das hatte seinen Grund vornehmlich in der
mittelalterlichen Auffassung der Lerrschaftsbefugnisse als nutzbarer
Äoheitsrechte, während die moderne Regierungsgewalt als Organ
des im Staate zusammengefaßten Gesamtwillens der Nation auf¬
zufassen ist.
Die ständische Gewalt hatte ihre Blütezeit im 15. und 16. Jahr¬
hundert, im 17. erlag sie auch in Deutschland größtenteils dem fürst¬
lichen Absolutismus.