Full text: Vom Zeitalter des Augustus bis zum Westfälischen Frieden (Teil 2 = Klasse 3)

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II. Luther und die Reformation. 
gebracht hat; und in Luthers Persönlichkeit stehen seine schöpferischen 
Kräfte gestaltet vor uns. Luther hat dem deutschen Volke das Gut 
innerlichen Glaubens Mieder erstritten; er hat über alle Formen 
religiösen Vorstellens und werkheiliger Verdienstlichkeit zurückgewiesen 
und näher wieder herangeführt zu dem Urquell, aus dem die Seele 
rhre Erhebung erringt, zu dem Argrunde des Gottesgeistes selber. 
An Stelle der auf Anmündigkeit zugeschnittenen Formen mittelalter¬ 
licher Frömmigkeit forderte er die Anerkennung der Mündigkeit des 
Menschen, der sein Verhältnis zu Gott selber ordnet, die Pflicht 
heiliger Gewissensverantwortung und Selbstzucht. Unablässig treibt 
er seine Zeit in Predigt, Wort und Schrift zur Selbstprüfung 
darüber an, was man als Untertan seiner Obrigkeit, als Vater den 
Seinen, als Beamter seiner Gemeinde schuldig sei. Damit hat er 
die Knechtschaft des Gewissens und die alles beherrschende Macht 
der Kirche, die im Mittelalter allem menschlichen Forschen und Wissen 
Ziel und Inhalt vorgeschrieben hatte, gebrochen und die sittliche Frei¬ 
heit zum höchsten Gute des Menschen erhoben. In seinem Wahrheits¬ 
ernste, der keinen anderen Maßstab der Echtheit anerkennen kann als 
Verstand und Gewissen, liegt der Ausgangspunkt der gesamten 
modernen Kunst, Philosophie und Wissenschaft, die eine echt sittliche 
^-ache ist. Reich ist auch der Segen, der von Luthers Wirken in die 
sozialen Ordnungen hereinfloß. Damit, daß er sie als Pflanzstätten 
evangelischen Lebens anerkannte und bewertete, zerstörte er die Idee 
von einer doppelten Sittlichkeit, die im Mittelalter die Gemeinschafts¬ 
formen des Staates, der Gesellschaft, der Familie, der wirtschaftlichen 
und geistigen Berufsarbeit entwertet und entweiht hatte. Nun war 
diesen Ordnungen die sittliche Selbstberechtigung wiedergegeben. „Ich 
habe zuerst gezeigt, was Stand und Würde weltlicher Obrigkeit sei", 
erklärt Luther. Die Reformation hat den modernen Staat erst er¬ 
möglicht. Der von der Hierarchie unabhängig gewordene und vor 
eigene sittliche Aufgaben gestellte Staat wurde durch Luther innerlich 
erneuert, und auf ganz anderen Wegen war erreicht, was Barbarossa 
und seine Zeit unter Bezugnahme auf das römische Recht versucht, 
aber nicht durchgesetzt hatten. Nun erst war der Investiturstreit 
wirklich vorüber. Und welche sittliche Weihe goß er über die Keim¬ 
zelle des Staates aus, die Familie! Der geächtete Mönch wurde 
der Begründer des Pfarrhauses. Und aus ihm ist unendlicher Segen 
auf das deutsche Volk ausgeströmt. Das Sakrament der Ehe hat 
er verworfen, aber nur innerlicher und sittlich freier ist durch ihn das 
Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern 
geworden. So goldene Worte über Kindererziehung hat niemand ge¬ 
redet als Luther im „Sermon vom ehelichen Leben". Sitte und
	        
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