Mittelalter und Neuzeit: Das 19. Jahrhundert 29
beine Albrecht Dürers, um derentwillen es mir lieb ist, daß ich ein Deut¬
scher bin. ... Als Albrecht den Pinsel führte, da war der Deutsche auf
dem Völkerschauplatze unsers Weltteils noch ein eigentümlicher und ausge¬
zeichneter Charakter von festem Bestand; und seinen Bildern ist nicht nur
in Gesichtsbildung und im ganzen äußeren, sondern auch im innern Geiste
dieses ernsthafte, grade und kräftige Wesen des deutschen Charakters treu
und deutlich eingeprägt.
IV. Das 19. Jahrhundert.
1. Der alte Jammer.
Phil. 3af. Siebenpfeiffer, Rede auf dem hambacher Fest
(27. Mai 1832): wir widmen unser Leben der Wissenschaft und der Kunst,
wir messen die Sterne, prüfen ItTond und Sonne, wir stellen Gott und Mensch,
Ml' und Himmel in plastischen Bildern dar, wir durchwühlen die Körper¬
uni) Geistes weit: aber die Regungen der Vaterlandsliebe sind uns unbe¬
kannt, die (Erforschung dessen, was dem vaterlande not tut, ist Hochverrat,
selbst der leise Wunsch, nur erst wieder ein Vaterland, eine freimenschliche
Heimat zu erstreben, ist verbrechen.
Ludwig Börne, Menzel, der Franzosenfresser (1837): wenn die
Franzosen nicht wären und ihre Taten, .. . dann würden in Deutschland,
wie überall, schnell alle alten Mißbräuche zurückkehren, aber mit verjüngter
Kraft und vermehrter Bösartigkeit. Darum ist ein Verräter an seinem va¬
terlande, welches auch sein Vaterland sein möge, darum ist ein Feind Got¬
tes, der Menschheit, des Rechts, der Freiheit und der Liebe, wer Frankreich
haßt oder es lästert.
(Emma hertvegh und ihr Söhnchen (hermegh: Briefe von und an
G.herwegh, 1847): „Aber warum ist Papa allein? warum leiden diepreußen
nicht, daß er kommt? was ist das, die Preußen? Sind das Menschen?" —-
„Sie sehen wie Menschen aus, sind aber keine!" Damit war er beruhigt.
Bismarck im Landtag (26.Februar 1863) und im Norddeutschen
Reichstag (4. März 1867): Die Neigung, sich für fremde Nationalitäten
und Nationalbestrebungen zu begeistern, auch dann, wenn dieselben nur auf
Kosten des eignen Vaterlandes verwirklicht werden können, ist eine poli¬
tische Krankheitsform, deren geographische Verbreitung sich auf Deutschland
leider beschränkt. —- (Es liegt ohne Zweifel etwas in unserem National-
Charakter, was der Vereinigung Deutschlands widerstrebt, wir hätten die
(Einheit sonst nicht verloren oder hätten sie bald wiedergewonnen. . . .
was ist der Grund, der uns die (Einheit verlieren ließ und uns bis jetzt
verhindert hat, sie wieder zu gewinnen? wenn ich es mit einem kurzen
wort sagen soll, so ist es, wie mir scheint, ein gewisser Überschuß an dem
Gefühle männlicher Selbständigkeit, welche in Deutschland den einzelnen, die
Gemeinde, den Stamm veranlaßt, sich mehr auf die eigenen Kräfte zu ver-