Völkerstaat und Weltfriede 3
Mensch durchaus nichts anderes im Sinn haben, nichts anderes anbauen
können, als Humanität, wie er sich dieselbe auch dachte. Ihr zu gut sind
die Anordnungen unsrer Geschlechter und Lebensalter von der Natur
gemacht, daß unsre Kindheit länger daure und nur mit Hilfe der Er¬
ziehung eine Art Humanität lerne. Ihr zu gut sind auf der weiten
Erde alle Lebensarten der Menschen eingerichtet, alle Gattungen der
Gesellschaft eingeführt worden. Jäger oder Fischer, Hirt oder Acker¬
mann und Bürger; in jedem Zustande lernt der Mensch Nahrungsmittel
unterscheiden, Wohnungen für sich und die Seinigen errichten: er lernte
für seine beiden Geschlechter Kleidungen zum Schmuck erhöhen und sein
Hauswesen ordnen. (Er fand mancherlei Gesetze und Regierungsformen,
die alle zum Zweck haben wollten, daß jeder, unbefehdet vom andern,
seine Kräfte üben und einen schönern, freiern Genuß des Lebens sich
erwerben könnte, hierzu ward das (Eigentum gesichert und Arbeit, Kunst,
Handel, Umgang zwischen mehreren Menschen erleichtert: es wurden
Strafen für die Verbrecher, Belohnungen für die vortrefflichen erfun¬
den, auch tausend sittliche Gebräuche der verschiedenen Stände im öf¬
fentlichen und häuslichen Leben, selbst in der Religion angeordnet, hie¬
zu endlich wurden Kriege geführt, Verträge geschlossen, allmählich eine
Art Kriegs- und Völkerrecht nebst mancherlei Bündnissen der Gast¬
freundschaft und des Handels errichtet, damit auch außer den Grenzen
seines Vaterlandes der Mensch geschont und geehrt würde, was also
in der Geschichte je Gutes getan ward, ist für die Humanität getan
worden; was in ihr Törichtes, Lasterhaftes und Abscheuliches in
Schwang kam, ward gegen die Humanität verübt, so daß der Mensch
sich durchaus feinen andern Zweck aller seiner Erdanstalten denken kann,
als der in ihm selbst, d. i. in der schwachen und starken, niedrigen und
edlen Natur liegt, die ihm sein Gott schuf, wenn wir nun in der gan¬
zen Schöpfung jede Sache nur durch das, was sie ist und wie sie wirkt,
kennen: so ist uns der Zweck des Menschengeschlechts auf der Erde durch
feine Natur und (Beschichte, wie durch die Helleste Demonstration ge¬
geben. . . .
Auf Regenten und Staaten hat die Natur nicht gerechnet, sondern
auf das Wohlsein der Menschen in ihren Reichen. ; . . Der höchste Re¬
gent (Europas bleibt den Naturgesetzen des Menschengeschlechts sowohl
unterworfen, als der Geringste seines Volkes. Sein Stand verband ihn,
bloß ein haushalter dieser Naturgesetze zu sein, und bei seiner Macht,
die er nur durch andre Menschen hat, auch für andre Menschen ein wei¬
ser und gütiger Menschengott zu werden.
4. Völkerstaat und Weltsriede (Kant).1
. . . Für Staaten im Verhältnisse untereinander kann es nach der
Vernunft feine andere Art geben, aus dem gesetzlosen Zustande, der
1 Aus Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Nicolovius, Königsberg 1795.
$• 37 ff., 46 ff.