Full text: Die sittlich-geistige Wiedergeburt zu Anfang des 19. Jahrhunderts (H. 93)

Georg-Eckert-Instttirf 
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Einleitung. 
während des achtzehnten Jahrhunderts verbreitete sich auch in Deutsch¬ 
land die Lehre des englischen Philosophen Shaftesbury, der die moralische 
Besserung der Menschen von einer Aufklärung und Veredelung der Eigenliebe 
ermattete. In schroffem Gegensatz zu dieser Moral der individuellen Glück¬ 
seligkeit erklärte Kant (1), der moralische wert einer Handlung beruhe gerade 
darauf, daß sie unabhängig vom Streben nach Glück allein durch das Gebot 
der Pflicht bestimmt sei. Diesem Grundgedanken von Kants praktischer Philo¬ 
sophie stimmte Schiller (2) freudig zu; aber abweichend von Kant hielt er den 
menschen, der dem Gebot ohne Kampf mit der Neigung gehorcht, für voll¬ 
kommener als den, der sein pflichtmäßiges sandeln dauernd widerstreitenden 
Neigungen abringen muß. während Kant und Schiller die Vervollkommnung 
des einzelnen Menschen im Auge hatten, betrachtete Schillers Freund Wil¬ 
helm von Humboldt schon in seinen frühesten Schriften (3) den Menschen als 
Glied des volksganzen. Dabei schwebten ihm die Völker des klassischen Alter¬ 
tums vor, die auch dem Romantiker Friedrich Schlegel als Vorbilder des Ge. 
meinsinns galten (4). Über den Völkern erhob sich für Schlegels Freund No¬ 
valis die christliche Kirche (5). Auch der den Romantikern nahestehende Theo¬ 
loge Schleiermacher (6) verlangte eine (Erneuerung des religiösen Lebens, 
aber in losem Zusammenhang mit den bestehenden Kirchen und ihren Lehren. 
(Eine Religion der Tat und eine Moral der selbstvergessenen Hingebung an 
die Gemeinschaft lehrte, von Kants Gedanken ausgehend, Fichte (7). In seinen 
noch vom weltbürgerlichen Geist des achtzehnten Jahrhunderts beeinflußten 
Jugendschriften dachte er dabei an die ganze Menschheit; nach der Katastrophe 
von 1806 aber erkannte er die Pflicht des Deutschen, der Wiedergeburt des 
deutschen Volkes und Staates zu dienen. 
Der Untergang des Deutschen Reichs und die Niederlagen der mächtigsten 
deutschen Staaten weckten auch sonst das nationale Gewissen. Unabhängig 
voneinander forderten der geistreiche österreichische Publizist Gentz (8) und 
der ehrenwerte Hamburger Buchhändler Perthes (9) eine allgemeine Wieder¬ 
geburt. Am nachdrücklichsten und eindringlichsten wirkten für einen starten 
und freien Glauben an das Gute und Willen zum Guten die Flugschriften 
von (Ernst Moritz Arndt (10). Weil sie seiner Meinung nach nur der wirt¬ 
schaftlichen Hebung, nicht der moralischen (Erneuerung des Volkes dienten, 
bekämpfte der tapfere märkische Junker Friedrich August Ludwig von der 
Marwitz die Reformen von Stein und Hardenberg (11). Als 1809 die Ge¬ 
legenheit zum Freiheitskampfe gekommen schien, schrieb Heinrich von Kleist, 
der ebenfalls dem märkischen Adel angehörte, seinen Katechismus der Deut¬ 
schen (12). Als der Krieg von 1809 mit einem neuen Siege Napoleons endete, 
vermißte der Rheinländer Josef (Börres, ein frommer Katholik und warm¬ 
herziger Patriot, bei den Deutschen eine mannhafte und streitbare Tugend (13). 
Unter dem stärksten Druck der Fremdherrschaft verfaßte der Turnvater Fried¬ 
rich Ludwig Jahn seine Schrift über das deutsche Volkstum (14), in der er 
für alle Gebiete des Lebens, vor allem für die Sprache, die Rückkehr zu deut¬ 
scher (Eigenart verlangte. Den unlöslichen Zusammenhang zwischen allen Le¬ 
bensäußerungen eines Volkes erkannten vor allem die Begründer der histo¬ 
rischen Sprachforschung und der historischen Rechtswissenschaft (15). Den (Ein¬ 
fluß der neuen Ideen auf die nationale (Erhebung der Jugend betonte Steffen 
in einem (Bespräche mit dem Freiherrn vom Stein (16). Unberührt von poli¬ 
tischen Leidenschaften hielt Goethe (17) an dem Ideal der Selbsterziehung fest, 
das vor allem die beiden Teile seines Romans „Wilhelm Meister" durchzieht. 
Die Lehrjahre hatte er unter lebhaftem Anteile Schillers vollendet: die Wan¬ 
derjahre verfaßte er erst wenige Jahre vor seinem Tode. 
(Ruellenfammlnng II,93: (Tauer, Die geistige Wiedergeburt 1
	        
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