Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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Es kamen und schwanden die Rächer wie Schatten der Nacht. Bald 
hier, bald dort fiel ein Römer im Engpaß. In dem Gedränge konnte 
Varus die Gefahr nicht überschauen; er befahl, geschlossenen Marsch zu 
halten, aber in der Wildniß war dies unmöglich. Endlich neigte sich der 
Tag und Varus gebot dem Heere, Halt zu machen, sich zu verschanzen, 
so gut es ginge, und zu verbrennen, was vom Gepäck überflüssig sei und 
im Zuge nur hindern könne. Am andern Tage rückte das Heer, immer 
von den Deutschen umschwärmt, doch in bester Ordnung in der Ebene 
weiter, die sich an der Werra ausdehnt, und gelangte in die Gegend von 
Detmold, wo die hohe Teutoburg ragte. Da ward auf Ein Mal jeder 
Busch lebendig, aus jeder Bergschlucht raschelte es wie viel hundert 
Schlangen empor und die uralten Bäume schüttelten, wie sonst nach dein 
Wetter Regentropfen, jetzt Pfeile ohne Zahl auf die erschrockenen Römer 
herab. Der Himmel wollte auch nicht feiern und half den Deutschen mit 
Sturm und Regen. Von den Güssen unterwühlt, sank die deutsche Erde 
unter des Römers Füßen ein; im losen Erdreich schwankend, von Sturm 
gerüttelt, stürzten die deutschen Eichen über die Unterdrücker hin und zer¬ 
malmten sie im Fall. Ueberall dringen die Deutschen heran; Schritt für 
Schritt kämpft der Feind um den Boden, auf dem er steht, um den Weg, 
um jeden Baum und Stein, und er kommt nicht eher zu Athem, als bis 
die Nacht hereinbricht. Da läßt Varus abermals Lager schlagen und er¬ 
mattet sinken die Römer hin; aber in jedem Augenblick scheucht der Deut¬ 
schen Kriegsgeheul sie aus der kurzen Nachtruhe empor. Als der dritte 
Morgen tagt, entdecken sie erst, wie licht es in ihren Reihen geworden ist. 
Mann an Mann geschlossen brechen sie auf und kommen auf's offene Land, 
das die „Senne" heißt. Da sehen sie mit Grausen die ganze Masse der 
Eidgenossen vor sich entfaltet. Ringsum Deutsche, nirgends ein Ausweg! 
Für alle Tapferkeit ist nichts mehr feil als der Tod. Jauchzend stürzt 
jetzt die Eidgenossenschaft in der verzweifelnden Römer starre Reihen. 
„Die Freiheit, die Freiheit!" schalt's wie Donner des Himmels den 
Römern in die Ohren. Wie die Saat unter Hagelschloßen sinken die 
Tapfersten unter deutschen Hieben nieder. Hermann selbst ist überall; 
hier ordnet er als Feldherr die Schlacht und ruft: „Drauf, Brüder, drauf!" 
Dort kämpft er mit der Kraft von zehn Männern, Stirn an Stirn; kein 
Eidgenosse, der nicht mit ihm um den Preis wetteifert! Des Feindes 
Schaaren sind zersprengt, nur wenige wilde Haufen ragen noch aus dem 
Meer der Schlacht empor. Jetzt wird die Flucht allgemein; doch die 
Meisten rennen blind in die Spieße der Deutschen. Da faßt Verzweiflung 
das Herz des Varus und er stürzt sich in sein eigenes Schwert*), um sein 
Unglück und seine Schmach nicht zu überleben. Nur Wenige aus dem 
großen Römerheer entrinnen; die Meisten liegen auf dem Wahlplatz. 
*) Germanikus soll später die (Scbeine dieses Feldherrn auf das befestigte Lager 
bei Tanten (castra vetera), das von Varus angelegt war, gebracht haben, während 
sein Haupt dein Markomannenkönig Marbod geschenkt wurde, der es an Augustus sandte.
	        
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