Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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aber zog stolz und in Siegeshoffnung durch den Teutoburger Wald heran. 
Da fand er auch den Wahlplatz, wo die Legionen gefallen waren, und 
begrub die meisten Gebeine seiner erschlagenen Landsleute. Noch standen 
die Altäre, auf welchen die Hauptleute der Römer den Göttern geopfert 
waren. Germanikus zog Rache schnaubend tiefer in's Land hinein; da 
kam wiederum Hermann wie im Sturm mit seinen Schaaren herbei und 
schlug die Römer zurück. Die flohen in Eile bis hinter den Rhein. 
Doch Germanikus rüstete sich mit neuer Macht und bot alle List und 
Kriegskunst auf. An den Meeresküsten fuhr er mit einer Flotte bis hin 
zur Ems; von dorther drang er jetzt in's Land. Da wichen die Cherusker, 
in der Gegend, wo heutzutage Minden steht, hinter die Weser zurück 
und erwarteten ihn zur Schlacht. Bevor sie begann, sah Hermann seinen 
Bruder Flavius auf feindlicher Seite stehen und rief ihm zu: „O komm' 
herüber zu deinem freien Volk, mein Bruder! Was kämpfest du in den 
Reihen der Römer gegen dein eigenes Vaterland? Kennst du die alten 
Eichen nicht mehr? Hörst du nicht, wie sie dir Grüße zurauschen aus 
unserer Knabenzeit? Wirf hin, wirf sie von dir die goldenen Ehrenzeichen, 
mit denen die Römer deine Knechtschaft vergülden! Wie ist es doch viel 
schöner, von freien Brüdern geliebt zu sein und auf heimischer Erde zu 
sterben!" Aber Flavius war zum Römer geworden und hatte kein Herz 
mehr für solche Worte. Da gebot Hermann voll Grimm die Schlacht; 
sie dauerte vom Morgen bis tief in die Nacht. Klug hatte Hermann den 
Plan erdacht und bestellt; doch die Wuth des Kampfes verdarb das Wohl¬ 
ersonnene. Die Cherusker rannten von den waldigen Hügeln, wo Her¬ 
mann sie aufgestellt, zu früh in's Thal hinab. Dadurch entstand Ver¬ 
wirrung. Die Römer benutzten sie, drangen von allen Seiten vor und 
wurden Meister des Schlachtfeldes. Da stürmte Hermann hoch zu Roß 
Wider die Bogenschützen und bahnte sich endlich eine Gasse. Plötzlich stieß 
er wieder gegen eine lebendige Mauer; das waren die römischen Bundes¬ 
genossen aus Gallien, aus Tyrol, vom Lech. Verwundet, daß das Blut 
ihm über's Gesicht rann und ihn unkenntlich machte, brach der tapfere 
Held dennoch durch und gewann das Freie. 
Wie aber die Römer den Rückzug antraten, stand alles Volk in den 
Gauen wider sie aus und abermals ward grimmig geschlagen bis tief in 
die Nacht. Die Römer nannten's einen Sieg, zogen sich aber doch eiligst 
zurück. Darauf fuhren sie auf der Ems in's Meer, dort zerstörte der 
Sturm ihre Flotte. Ungebeugt durch diesen Verlust griff Germanikus 
die Chatten und Marsen an, legte das Land wüst und hoffte mehr denn 
je, Deutschlands Meister zu werden. Doch der Kaiser Tiberius, eifer¬ 
süchtig auf den Ruhm des tapfern Germanikus, rief ihn zurück und sprach 
dabei ein Wort, das sich leider zu allen Zeiten als wahr erwiesen hat: 
„Sicherer als durch fremde Waffen wird die Kraft der Deutschen durch 
sie selbst gebrochen!"
	        
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