Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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das in sich zusammenbrach, seitdem Treue und Redlichkeit daraus ver¬ 
schwunden 'waren. 
Damals lebte im Lande der Bataver (an den Rheinmündungen), 
welches Volk schon lange zu den Römern als Bundesgenosse gestanden 
hatte, ein Mann, Namens Civilis, den sie über eine Abtheilung seiner 
Landsleute gesetzt, welche in ihrem Heere dienten. Er hatte nur ein Auge, 
sah aber damit besser, als hundert Andere mit zwei Augen, die Noth und 
Schmach seines Vaterlandes und wie niederträchtig die geizigen, wollüstigen 
Römer darin walteten. Diese aber erfamtten bei Zeiten sein vater¬ 
ländisches Herz, darum legten sie ihn in Fesseln, ja ermordeten sogar 
seinen Bruder, der eben so gesinnt war. Endlich gaben sie den Civilis 
wieder frei: doch er ließ sich Bart und Haupthaar wachsen und that einen 
Eid, nicht eher wolle er sein Haar scheeren, als bis er Rache genommen 
habe. „Dulden wir's länger, daß sie unsere Knaben nach Rom schleppen 
und unsere Greise zu Soldaten pressen, um schweres Lösegeld zu gewin¬ 
nen?" — so rief der Brave seinen Landsleuten zu, und alle sprachen 
einmüthig: „Nein!" und erhoben die Waffen. Alsbald schickte er insge¬ 
heim Botschaft an die Andern, die in Mainz den Römern dienten, und 
an die Friesen und Kaninefaten; diese beiden Völker stimmten ihm 
bei, daß die Fremdherrschaft nicht länger zu ertragen sei, und alle zu¬ 
sammen schlugen die Römer. Da ward es auch den Belgiern warm 
um's Herz und den Deutschen über'm rechten Ufer des Rheinstroms, und 
jene Bataver, welche in Mainz lagen, eilten zu ihren Brüdern. 
Im Lande der Brukterer war um jene Zeit eine Jungfrau, vor 
deren Augen die Zukunft offen lag; die hieß Velleda. Alles deutsche 
Volk verehrte sie und horchte gläubig auf ihre Worte. Sie selber sprach 
nur mit ihren Verwandten; diese allein und kein Fremder durfte zu dem 
Thurm kommen, in dem sie wohnte; der stand in tiefer Waldeinsamkeit 
an den Ufern der Lippe. Jetzt, als die Bataver, von Civilis angefübrt, 
den Krieg um die Freiheit begannen, sprach die begeisterte Jungfrau: „Die 
Götter billigen den Kampf und die Römer werden im alten Lager 
(castra vetera — Tanten am Rhein) untergehen !" Auf dies Wort 
griffen auch die Brukterer und feuchterer zu den Waffen, eilten zu den 
Batavern und alle Verbündeten stürmten auf das „alte Lager" ein, 
worin sich die Römer verschanzt hatten und mit dem Muth der Ver¬ 
zweiflung wehrten. Nachdem sie wegen anhaltender Hungersnoth schon 
ihre Pferde verzehrt hatten, baten die Übriggebliebenen um das Leben 
und freien Abzug, was Civilis, ihre Tapferkeit achtend, ihnen auch gewährte. 
Nun erst hielt Civilis sein Gelübde für gelöst, und im Angesicht des gan¬ 
zen Heeres ließ er sich wieder Bart und Haupthaar scheeren; den besten 
Theil der Beute schickte er abc; der Seherin Velleda. 
2. 
Nun verbündeten sich auch die Gallier mit den Deutschen, aber den 
Letzteren gereichte dieser Bund zum Verderben. Der römische Kaiser
	        
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