Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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nahm ihr den Gürtel, ohne daß sie es inne ward. Vielleicht that er das 
aus Uebermuth; später, als er mit seiner Kriemhilde gen Niederlande zog, 
gab er ihr Beides, was ihm später sehr leid werden sollte. 
Die Königin rief nun ihre Hofleute herzu und sprach: „Kommet 
näher, ihr meine Verwandten und Mannen, ihr sollt nun alle dem Könige 
Günther Unterthan werden!" Da legten die Tapferen ihre Waffen aus 
der Hand und beugten sich vor Günther, dem reichen König von Burgunden- 
land; denn sie wähnten, er habe mit seiner Kraft die Spiele gewonnen. 
Siegfried der Starke trug weislich seine Tarnkappe wieder fort und 
trat dann in den Saal, wo die Ritter und Frauen versammelt waren 
„Wohl mir um der Kunde willen," sprach er, „daß euer Stolz besiegt ist 
und daß Jemand lebt, der euer Meister geworden! Nun sollt ihr uns 
von hinnen folgen an die lieblichen Ufer des Rheins, edle Maid!" 
2. Siegfrieds Tod. *) 
Die beiden Königinnen Kriemhilde und Brunhilde saßen einst zu- 
samnien, gedachten der früheren Tage und stritten über den Vorrang ihrer 
Männer. Und als sie zur Kirche gingen, wollte Brunhilde den Vortritt 
haben. Darüber erhob sich neuer Streit. Erzürnt sprach nun Kriemhilde: 
„Wie mag doch Günther größer sein, als Siegfried, welcher der stolzen 
Brunhilde den Ring und Gürtel genommen hat!" Da erschrak Brunhilde 
und grimme Rachsucht kam in ihr Herz gegen Siegfried, der sie überwunden. 
Während Brunhüde voll von Schmerz und bitterem Haß in ihrem 
Gemache verweilte, trat der grimmige Held Hagen zu ihr ein und fragte 
nach der Ursache ihres Kummers. Dem öffnete die Königin ihr Herz, und 
Hagen schwur ihr, den edlen Siegfried zu verderben. Günther und Hagen 
boten ihre Kriegsmannen auf, als ob es gegen den Feind gehen sollte, 
und auch Siegfried rüstete sich zur Heerfahrt. Da kam auch der grimme 
Hagen zu Kriemhilden, um Abschied zu nehmen. „O schütze ihn," sprach 
arglos Siegfrieds schönes Weib: „zwar ist sein Leib im Blute des Drachen 
gebadet und unverwundbar, doch zwischen die Schulterblätter fiel ihm ein 
Lindenblatt und diese Stelle ist verwundbar. O schütze sie, wenn ein 
Speer den Helden bedroht!" — „Nun wohl!" sagte der tückische Mann, 
„aber damit ich die Stelle wohl im Auge behalte, so nähet mir doch, 
königliche Frau, ein Zeichen auf sein Gewand." Und voll zärtlicher Liebe 
nähet Kriemhilde selber das blutige Todeszeichen. 
Tags darauf beginnt der Kriegszug und Hagen reitet nahe heran an 
Siegfried, um zu sehen, ob die Gattin in ihrer blinden, grenzenlosen Liebe 
arglos genug gewesen sei, das Zeichen einzusetzen. Siegfried trägt es 
wirklich und nun ist die Heerfahrt nicht weiter nöthig; Hagen hat aus 
den Händen Kriemhilden's das, was er will, und mehr noch als das, was 
er erwarten konnte. Die Gefolgsmannschaft wird, statt in den Krieg, zu 
einer großen Jagd entboten; noch einmal eilt Siegfried zu seinem trauten 
*) Nach Th. Vernaleken.
	        
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