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gegenseitige Verhetzung wurde immer leidenschaftlicher, ja roher.
Durch diesen „Kulturkampf“, wie Virchow ihn taufte, gewann
die Kultur sicher nicht.
Im Jahre 1875 wurden die gesetzlichen Bestimmungen noch
weiter verschärft. Gerichtlich abgesetzte Personen sollten nach
einem bestimmten Ort verwiesen, bezw. ausgewiesen werden
können. Staatliche Leistungen an die katholische Kirche wurden
durch das Sperrgesetz eingestellt. Alle Orden, soweit sie
nicht Krankenpflege übten, sollten vertrieben werden. Die Ver¬
waltung des Kirchenvermögens wurde den bürgerlichen Aus¬
schüssen der Gemeinden zugewiesen, für die Bekundung des
Personenstandes wurden weltliche Behörden bestimmt; auch
sollte ninfort die Zivilehe der kirchlichen Trauung vorangehen.
Durch alle diese Maßregeln, die, wenn sie zunächst für
Preußen allein angeordnet, doch bald auch auf andere Bundes¬
staaten ausgedehnt wurden, ergab sich gewiß die Größe der
weltlichen Macht. Immer mehr verloren die geistlichen Stellen
ihre Seelsorger; von 12 Bistümern waren im Jahre 1876 7 (!)
unbesetzt; 1000 Pfarreien waren verwaist. Zu diesen Ver¬
heerungen kam die Verwilderung der Gemüter. Aber so schwer
die Kirche die weltliche Hand fühlte, so wenig konnte der Staat
über solche Ergebnisse Freude haben. Bismarck hatte den
Willen seiner Gegner brechen und wenigstens sie spalten wollen.
Das Gegenteil hatte er erreicht; denn enger wie je schlossen
sich Geistliche und Laien zusammen und im Reichstage erschien
der „Zentrumsturm“, wie Bismarck das Zentrum nannte, bei jeder
folgenden Neuwahl nur stärker.
Der Kanzler war ein zu kluger Staatsmann und ein zu
guter Patriot, als daß er eigensinnig den Weg weiter zu ver¬
folgen Neigung hatte, der zu keinem guten Ziele führte. Er
sprach es schon 1875 aus, daß er den Frieden wünsche. Gesetze
könnten als Kriegswaffen dienen, daß man aber nicht ewig die
Waffen gebrauche. Auch setzte er seine Hoffnung auf einen
Wechsel in der Person des Papstes. Auf kriegerische folge oft
ein friedliebender; vielleicht, daß er auf diesem Wege einen
Papst finde, mit dem sich Frieden schließen lasse.
Der Fall trat 1878 ein, als Leo XIII. an die Stelle des hoch¬
betagten Pius IX. trat. Der Verkehr mit der Kurie wurde sofort
freundlicher. Und wenn es auch nicht gelang, mit ihr unmittel-