Das deutsche Reich am Anfang und am Ende dieser Periode.
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Zwölftes Kapitel
Das deutsche Ueich am Anfang und am Ende dieser Periode.
Am Anfange dieser Periode sahen wir den Versuch gemacht,
dem immer weiter um sich greifenden Verfalle der Staats- und Rechts¬
ordnung im Reiche dadurch Halt zu gebieten, daß neben die kaiserliche
Gewalt (oder eigentlich an ihre Stelle) eine andere gesetzt würde,
welche mit besserem Erfolge diese Staats- und Rechtsordnung auf¬
recht zu erhalten vermöchte. So entstand das „Reichsregiment",
zu welchem der Kaiser lediglich den Präsidenten und zwei von den
22 Beisitzern zu stellen hatte, während die anderen 20 von den
Standen ernannt wurden. Dieser Versuch, kaum begonnen, scheiterte.
Das konnte nicht anders sein. Zwei Gewalten, eine monarchische und
eine aristokratische, konnten unmöglich nebeneinander bestehen.
Durch den Westfälischen Frieden trat eine andere Wendung ein.
Die Fürsten verzichteten auf eine Mitregierung im Reiche (außer
soweit eine solche dem Reichstage zustand); dagegen lösten sie sich
thatsächlich so gut wie völlig vom Reiche ab und zogen sich auf ihre
Landeshoheit zurück. Wir werden sehen, wie von jetzt an auch die
Kriege Deutschlands mit dem Auslande nicht mehr eigentlich als
Reichskriege geführt werden, vielmehr nur wie Unternehmungen des
Kaisers und einzelner mit ihm verbündeter Stände erscheinen.
Das einzige einheitliche Band bleibt das 1524 errichtete Reichs-
kammergericht, welches die Unterthanen gegen Unrecht zu schützen,
tue Urteile der Landesgerichte, auf Berufung dagegen, zu revidieren,
Streitigkeiten zwischen einzelnen Stünden zu schlichten, also einerseits
Den Rechtsschutz für jedermann, andererseits den Landfrieden aufrecht¬
zuerhalten hat. Es hatte feit 1530 feinen Sitz zu Speier. Durch
die Reichskammergerichtsordnung von 1555 ward ihm sein Verfahren
vorgeschrieben. Freilich war der Bereich seiner Wirksamkeit sehr ein¬
geengt durch das den Kurfürsten in der „Goldueu Bulle" eingeräumte
Vorrecht, wonach von ihren Gerichten keine Berufung an das Reichs¬
kammergericht statthaft war, außer bei förmlich et: Rechtsverweigerung,
ferner durch die Errichtung eines zweiten Reichsgerichts, des sog.
Reichshofrats, den der Kaiser ganz allein besetzte, während die
Mitglieder des Reichskammergerichts von den Reichsständen und nur
dessen Präsidenten vom Kaiser ernannt wurden.