Geistige und sittliche Bildung.
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nnngen, welche dem Übermatz im Schwelgen, im Kleiderluxus it. s. w.
steuern wollten, gerade in der Zeit des lebhaftesten Schwunges der
Reformation aufhörten, während sie alsbald wiedererschienen, als dieser
Schwung zu ermatten begann, um die Mitte des 16. Jahrhunderts.
Wie dem aber auch sei, jedenfalls bildet zu dem sittlichen Leben
des deutschen Volkes im Reformationszeitalter das sittliche Leben
desjenigen Geschlechts, das aus den Wehen und Wirren des 30 jähri¬
gen Krieges hervorging, einen starken Kontrast zum Nachteil dieses
letzteren. Die Thatkraft des Bürgertums ist gebrochen; an die Stelle
der alten Ehrbarkeit ist ein schwindelhaftes Haschen nach äußerem
Glanze auf Kosten der wahren Solidität getreten, jene „huudsvöttische
Reputation", wie es ein zeitgenössischer Schriftsteller, der Hamburger
Pfarrer Schuppius, leider nur zu treffend nennt, an die Stelle des
Gemeinsinnes eine maßlose Selbstsucht. Trotz des furchtbaren Elendes,
welches der Krieg, wie über Einzelne, so über ganze Gemeinden und
ganze Länder gebracht hat, ergeben sich die Menschen einem tollen
Rausche des Vergnügens, der Zerstreuung, ja der Schwelgerei, leben
in den Tag hinein und verzehren so noch das Wenige, was der
Krieg ihnen gelassen hat. Man würde es nicht für möglich halten,
daß dem fo gewesen, wenn nicht die zeitgenössischen Berichte überein¬
stimmend es bestätigten.
Eine völlige Verwälschuug des deutschen Volkes in Tracht, Sitte,
Sprache hatte Platz gegriffen. Vergebens eiferten wackere Patrioten
mit Ernst und Spott, in Schriften und selbst vou der Kanzel da¬
gegen. Die edle Muttersprache, die Luther aus ihrer Verzettelung in
Dialekte gerettet und zu einem so kräftigen und wohllautenden Idiome
gestaltet hatte, ward verhunzt und geschändet durch die Einmischung
aller möglichen fremden Wörter und Wendungen. Man schämte sich
ihrer und hielt es für fein, dem Franzosen, dem Spanier oder dem
Italiener nachzuäffen. „O, ihr Unvernünftigen!" ruft der Satiriker
Moscherosch seinen Landsleuten zu; „hast du je eine Katze dem Hunde
zu Gefallen bellen, einen Hund der Katze zu Liebe miauen hören?
Nun find wahrhaftig ein festes deutsches Gemüt und ein schlüpfriger
walscher Sinn anders nicht, als Hund und Katze gegen einander ge¬
artet. Und gleichwohl wollt Ihr, unverständiger als die Tiere, den
Walschen wider allen Dank nacharten?" Und ein anderer Satiriker,
Logau, singt:
„Diener tragen insgemein ihrer Herren Liverei,
Soll's denn sein, daß Frankreich Herr, Deuschland aber Diener sei?
Freies Deutschland, schäm' dich doch dieser schnöden Knechlerei!"