Full text: Von Karl V. bis zur Aufrichtung des neuen deutschen Kaisertums (1519 - 1871) (Theil 3)

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zukauern. Mit funkelnden Augen und unbeschreiblicher Lüsternheit schaut 
er längere Zeit nach dem Bissen hin; da kann er sich aber nicht mehr 
halten. Mit einem Satze stürzt er aus die Lockspeise, in demselben 
Augenblicke aber sitzt sein Fuß schon fest in der Falle. Doch er verliert 
den Mut nicht. In aller Stille beißt er den Schenkel ab und läuft auf 
drei Beinen davon. Ist ihm aber die Flucht unmöglich, so greift er 
zur List. Er stellt sich tot, um bei passender Gelegenheit zu entwischen. 
Auf diese Weise ist mancher Fuchs dem Jäger schon entkommen. Wird 
der schlaue Reineke aber gefangen, so muß er fein rotes Kleid hergeben; 
das verarbeitet der Kürschner zu einem prächtigen Pelzwerke. 
Zugabe a. D er Fuchs und der Iltis. 
Ein Iltis hatte eine Gans gefangen und trug sie mühsam fort. Auf dem Wege 
begegnete ihm der Fuchs- Den gelüstete die schone Gans, und er sprach: „Seit wann 
speisest du denn solch grobes Federvieh? Ich glaubte, nur das zarte Taubensleisch sei 
passend für dich. Gewiß, nur der ärgste Hunger trieb dich dazu, die Gans zu fangen-" 
Der Iltis antwortete: „Du hast recht. Wenn du mir zwei Täubchen geben willst, so 
kannst du die Gans hinnehmen". „Nur zwei?" entgegnete der Fuchs; „nein, so wahr 
ich ein ehrlicher Reineke bin, ich will dir fünf dafür geben." Der Iltis nahm den 
Vorschlag voller Freuden an und gab ihm die Gans; doch — heute noch soll der Fuchs 
kommen und ihm die Tauben bringen. 
b. Der Hase und der Fuchs. 
Der Hase und der Fuchs reisten mit einander. Es war Winterzeit, es grünte kein 
Kraut, und auf dem Felde ließ sich kein Mäuslein blicken. Das ist ein hungriges 
Wetter, mir schnurren alle Gedärme zusammen," sprach der Fuchs- „Ja wohl," ant¬ 
wortete der Hase, „es ist überall Dürrhof, und ich möchte meine eigenen Löffel fressen, 
wenn ich damit ins Maul langen könnte." 
So hungrig trabten sie weiter. Da sahen sie von weitem ein Bauermädchen kom¬ 
men, das trug einen Korb, und aus dem Korbe kam der Geruch von frischen Semmeln. 
„Weißt du was," sprach der Fuchs, „lege dich der Länge nach hin und stelle dich tot. 
Das Mädchen wird seinen Korb hinstellen und dich ausheben wollen, um dein Fell zu 
gewinnen, denn Hasenfelle geben Handschuhe; dann erwische ich den Semmelkorb uns 
zum Troste." 
^ Der Hase that uach dem Rate des Fuchses, fiel hin und stellte sich tot. Der 
Fuchs versteckte sich hinter einem Schneehaufen. Das Mädchen kam, sah den Hasen, 
stellte richtig den Korb hin und bückte sich nach dem Hasen. Jetzt schlich der Fuchs 
hervor, erschnappte den Korb und lief davon; gleich war der Hase wieder lebendig und 
folgte seinem Begleiter. Der Fuchs stand aber nicht still und machte keine Miene, die 
Semmeln zu teilen, sondern ließ merken, daß er sie allein fressen wollte. Das ärgerte 
den Hasen gewaltig. Als sie nun in die Nähe eines Teiches kamen, sprach der Hase 
zum Fuchs: „Wie wäre es, wenn wir uns ein Gericht Fische verschafften? Wir haben 
dann Fische und WeißbroH wie die großen Herren! Hänge deinen Schwanz ein wenig 
ins Wasser, so werden die Fische, die jetzt auch wenig zu beißen haben, sich daran hängen. 
Eile aber, ehe der Teich zufriert!" 
Der Fuchs ging hin an den Teich, der eben zufrieren wollte, und hing seinen 
Schwanz hinein. Nach einer kleinen Weile war der Schwanz des Fuchses aber fest ein¬ 
gefroren, und er konnte ihn nicht wieder herausziehen. Nun nahm der Hase den 
Lemmelkorb, fraß die Semmeln vor des Fuchses Augen, eine nach der anderen, und 
sagte: „Warte nur, lieber Fuchs, bis es auftaut, warte nur bis ins Frühjahr." Dann 
lies er davon, und der Fuchs bellte ihm nach wie ein böser Hund an der Kette. 
Heinemann, Anschauungsunterricht. 6. Ausl. 
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