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politischen Überblick haben. Wir wußten offiziell nicht,
ob wir gegen Rußland, Frankreich, Österreich oder Däne¬
mark rüsteten. Wir konzentrierten uns ganz fröhlich bei
Merseburg in der sicheren Erwartung, unsere Winter¬
quartiere in Leipzig zu nehmen. Ta überraschte uns
denn sehr, vom Oberkommando zu hören, daß wir uns
eiligst zwischen Mulde und Elbe zu versammeln hätten,
um möglicherweise mit dem II., III. und Gardekorps uus
noch konzentrieren zu können. Wie später verlautete, sollte
eiue Defensivstellnng hinter der Nuthe genommen werden.
Kaum rückten wir ab, so kam eine neue Dislokation.
Es war von oben her eine fortwährende Unruhe, die
uns in fortdauerndem Wechsel erhalten hat. — Ich fürchte,
daß selbst die Eroberung von Neuenburg-Balleudis uns
nicht ganz wieder auf die Beine bringen wird.
Die letzte Zeit war eine gute Probe für die Brauch¬
barkeit der Chefs. Die Mobilmachung erfolgte fast überall
unter sehr schwierigen Umständen. Wir hatten vom ganzen
Armeekorps nicht einen Mann Linientruppen, weder In¬
fanterie noch Kavallerie, im Korpsbezirk; keinen Inten¬
danten, keinen Generalarzt und keinen Generalstabsofsi-
zier. Die ganze Mobilmachungsinstruktion war illusorisch
und mußte durch lauter Spezialbestimmungen ersetzt
werden. Weuu wir für die 40 Millionen nur etwas
gelernt haben! Eine Erfahrung, die wir hier gemacht
haben, ist, daß der jetzige Geschäftsgang sich auf mobile
Verhältnisse gar nicht übertragen läßt, namentlich das
Rechnungswesen. Wir haben beim Generalkommando mo¬
natlich über 1000 Nummern gehabt. Diese 1000 Ein¬
gänge erforderten 15000 Erwiderungen.
59. Moltke an seinen Bruder Adolf.
Magdeburg, den 23. Januar 1853.
Die äußerliche Aussöhnung Österreichs und Preußens
dürfte vielleicht der Kopenhagener Regierung auch einige