36 Geschichte der alten Welt. §. 21.
„Zweimalgebornen" wie an die Sudra und Tschandala; er lehrte „ein Gesetz der
Gnade für Alle" unb zog dadurch die Niedrigen und Gedrückten, die durch ihn
Erlösung von den Banden des Kastenzwanges und der Geburt erwarteten, mächtig
an sich. Die Lehre von der Gleichheit aller Menschen, die Verheißung einer
ewigen Ruhe, eines endlichen Aufgehens und Verwehend im Nirväna, durch
ein Leben voll Tugend und Menschenliebe, und die Befreiung von den phantasti¬
schen Systemen unb ber Werkheiligkeit ber hochmüthigen Brahmanen machte einen
gewaltigen Einbruck. Gläubige Jünger, gleich bent vergötterten Meister im gelben
Bettlergewanbe umherziehend, verbreiteten seine Lehre mit raschem Erfolge über
alles Lanb vom Himavat bis nach Ceylon, unb große Gedächtnißhallen (Stnpa's)
mit klösterlichen Versammlungshäusern für die der Welt entsagenden Anhänger
(Bhikschu) erhoben sich in zahlloser Menge. Die Brahmanen bemerkten bie zu¬
nehmende Verbreitung der Buddhalehre mit Sorge. Sie suchten ihr entgegen
zu wirken, indem sie ihr Religionssystem durch die Ausbildung der Lehre von den
Inkarnationen dem Volke und der wirklichen Welt wieder näher zu bringen
suchten und das alte Volksepos in dem Sinne umgestalteten und durch das tief¬
sinnige Gespräch Bhagavad-Gita erweiterten. Auch auf die Entwickelung
der indischen Kunst war der Buddhismus von dem größten Einfluß. Die
kuppelförmigen Stupa, von den Europäern gewöhnlich Pagoden genannt,
welche die Buddhisten als Gedenkhallen über den als Reliquien verehrten
körperlichen Resten ihres Meisters aufrichteten, gaben den Brahmadienern die An¬
regung, auch ihren Göttern Tempel und Wohnungen zu bauen unb mit Bilb-
werken unb Symbolen zu schmücken. Daraus gingen bic noch jetzt bewun¬
derten Felsentempel uub Grotten werke von Ellora, Salsette, Ele¬
phant e u. a. hervor. — Aber Weber in ber Kastenorbnung, noch in ber Ascetik,
noch in dem ceremonienreichen Cultus und Opferdienst wollten die Brahmanen
eine Aenderung gestatten; daher war ihr Bemühen, den Buddhismus zu ver¬
drängen, erfolglos. Selbst mehrere Könige (vor allen Acoka) bekannten sich zu
demselben. Endlich glückte es den Brahmanen, blutige Verfolgungen gegen ihre
Widersacher hervorzurufen, die bald eine furchtbare Gestalt annahmen und
die endliche Vertilgung der Buddhisten in Vorderindien bis auf wenige Reste zur
Folge hatten. Von der Heftigkeit dieser Verfolgung, die im 6. Jahrh. n. Chr.
ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint, gibt folgender Befehl eines Königs
Zeugniß: „Vön der Brück' an die Schneeberg' hin, wer die Buddhas so Greis
wie Kind nicht erwürgt, soll erwürgt werden!" Die hier erwähnte Brücke ist
bte Meerenge von Ceylon unb Dekhan unb unter ben Schneebergen sinb bte Hö¬
hen bcs Himalaja zu verstehen; bic Verfolgung erstreckte sich also über bas
ganze inbische Lanb. Aber was bie Bubbhalehrc hier au Bekennern verlor,
gewann sie balb in reichlichem Maße bnrch die große Verbreitung, die sie
in Ceylon, Tibet, China und andern Ländern fand, nur daß sie mit der
Verbreitung auch fremdartige Elemente in sich aufnahm und durch Anbequemung
an fremde Religionsbegriffe allmählich der Entartung entgegenging, in der wir
ftc heute erblicken. Das Religionssystem der Buddhisten füllte sich gleichfalls mit
zahllosen Heiligen unb Götterwesen; ihre Dogmatik artete in eine wilb abenteuer¬
liche Mystik aus, ihre Religionsschriften vermehrten sich ins Unermeßliche, ber
Cultus gestaltete sich zu einem prunkvollen, aber gehaltlosen Ceremonienbienst und