Full text: Geschichtliches Lesebuch

262 XVI. v. Sybel, Die Schlacht bei Königgrätz. 
Die süddeutsche Bevölkerung empfand, wie sich versteht, nicht gerade 
Freude über den Triumph des auch von ihr bekriegten Staats: 
dennoch aber milderte sich die Feindseligkeit der Stimmung aus dem 
einfachen Grunde, daß es unmöglich war, dem bisher ihnen so wider¬ 
wärtigen Gegner ferner ihre Achtung zu versagen. 
Während in Preußen der Sieg die Bevölkerung mit dem pa¬ 
triotischen Aufschwung auch zur politischen Eintracht hinüberlenkte, 
brach in Österreich an hundert Stellen jetzt der Zorn über die Mi߬ 
regierung des Ministeriums Belcredi durch alle Schranken hindurch. 
Ju Wien wollte das Volk von einer abfälligen Kritik Benedeks nichts 
wissen; es betrachtete vielmehr ihn wie sich selbst als das unglückliche 
Opfer eines abscheulichen Regierungssystems, und beinahe mit pessi¬ 
mistischer Freude wurden die Folgen der Niederlage für dieses System 
erörtert. Ermutigende Manifeste des Kaisers hatten nur geringe 
Wirkung; vollends ein Aufruf an die Ungarn, wie einst unter Maria 
Theresia durch eine große Insurrektion die fremden Bedränger abzu¬ 
wehren, brachte nicht einen einzigen Bezirk unter die Waffen. 
Geradezu niederschmetternd wirkte, nach all jenen schönen Hoff¬ 
nungen des Juni, die Nachricht von Königgrätz auf den Vatikan. 
Die Welt bricht zusammen, soll Cardinal Antonelli ausgerufen haben, 
derselbe Antonelli, der kurz zuvor auf die Frage eines englischen 
Staatsmanns, des Lords Honghton, wie seine Regierung die irischen 
Katholiken beruhigen könnte, geantwortet hatte: sehr einfach, durch 
Einführung des preußischen Kirchenrechts. Aber was nützte im 
Vatikan der preußischen Regierung die der Hierarchie überreich ge¬ 
währte Kirchenfreiheit jetzt, nachdem die preußischen Waffen die Aus¬ 
sicht auf die Zertrümmerung Italiens und die Herstellung des Kirchen¬ 
staats vernichtet hatten? Fortan befand sich Preußen in den Augen 
des Vatikans im Stande der unverzeihlichen Todsünde, in gleicher 
Verdammnis mit seinem Genossen, dem subalpinischen Räuberfürsten. 
Dafür ging durch das übrige Italien ein einmütiger Jubelruf, 
welcher lauter beinahe als in Preußen selbst erscholl. Man fühlte 
sich nach der eigenen Demütigung von Custozza allerdings nicht frei 
von einem stillen Neide: aber mit Bestimmtheit kann es gesagt werden, 
daß dies Gefühl in der Armee und im Volke der Freude, Dankbar¬ 
keit und Bewunderung nicht den geringsten Eintrag that. Einem 
solchen Alliirten fühlte man sich unauflöslich verbunden.
	        
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