Full text: Der Olymp oder Mythologie der Griechen und Römer

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Das Wesen und dir SeLeutung 
Wo also auch der Mensch sich befinden mochte, alles, die Natur 
außer ihm, wie er selbst, war ihm das Werk einer Gottheit, deren 
Wahrnehmung nichts entgehen konnte. Darum lebte in seiner 
Brust heilige Scheu, die ihm wehrte die Götter zu verletzen und 
dadurch zu erzürnen, aber ebenso lebte er in dem Glauben, daß 
alles durch eine Gottheit geschehe, was sich um ihn und in ihm 
ereignete. Darum ergab er sich auch dem Schicksal als einer 
unwandelbaren Bestimmung der Weltordnung, die selbst die Göt¬ 
ter nicht zu ändern vermochten. Frei war ihm zwar die Wahl 
der That, aber an diese knüpfte sich das Schicksal in den Folgen 
des Geschehenen. 
Mit diesem Glauben zog man hinaus zum feindlichen Kampf 
in der Feldschlacht; war doch der Gott selbst gegenwärtig. Ebenso 
baute der Landmann sein Feld; denn eine Gottheit hatte ja die 
Kunst gelehrt, Feldfrnchte zu bauen, die sie dem Menschen als 
eine himmlische Gabe gegeben hatte. Dem Schiffer war die 
Gunst der Gottheit des Meeres zur glücklichen Fahrt unentbehr¬ 
lich ; darum hütete er sich auch, die Gottheit zu erzürnen. Dem 
Dichter war seine Begeisterung zu Liedern und Gesang die Gabe 
einer Gottheit, und nicht minder gab dem bildenden Künstler eine 
Gottheit das Gelingen seiner Werke. Auch die Freuden der Gesellig¬ 
keit im Spiel und Gastmahl konnten nicht ohne die Gunst der 
Gottheit sein, der man daher den ersten Tropfen des Trunkes 
und beim Beginn des Gelages den Gebetruf weihte uud den Lob¬ 
gesang anstimmte. So wahr eine wahrhafte und tiefe Religiosi¬ 
tät der alten Welt in allen Lebensverhältnissen eigen, wenngleich 
ihre Form die Vielgötterei ist, in der man die Götter in natür¬ 
licher und menschlicher Weise lebend und wirkend glaubte. 
Demnach haben wir es bei unserer Wanderung mit dem 
Heiligsten eines Volkes, mit dem religiösen Glauben desselben 
zu thun, und dringen in einer genaueren Betrachtung desselben in 
die tiefsten Geheimnisse der Vergangenheit. Wir lernen hier in 
den Vorstellungen der Götter ihren Ursprung und ihre Ver¬ 
ehrung kennen. Die Götter wurden von den Künstlern in mensch-
	        
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